Die Geschichte zum Cover

Herlinde Koelbl

11. November 2024

Gesellschaftliche Rollen, Macht und das Verhältnis von Schein und Sein sind die Themen vieler Langzeitprojekte der Fotografin. Auch das aktuelle LFI-Covermotiv aus der Serie Feine Leute erzählt davon.
Die Aufnahme des tanzenden Paares entstand 1985 auf dem Ball des Sports in Frankfurt am Main. Der gut gebräunte Rücken einer Dame mit fein verschnürten Bänderapplikationen und die lässig darunterliegende Hand des Tanzpartners sind perfekt ins Bild gerückt. Durch die fehlenden Köpfe ist das Paar nicht identifizierbar, und die beiden werden so zu Stellvertretern des Verhaltenskodex der sogenannten besseren Gesellschaft.

In ihren Langzeitprojekten erforschte die Fotografin immer wieder Ausdrucksformen, Regeln, Stile und Dresscodes bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Ob Wohnungen und Lebensräume oder Frisuren und Kleidung: Stets entwickelte Herlinde Koelbl konzeptionelle Serien, die über das Dokumentarische hinausgehen. Mit präzisem Blick überprüfte die Fotografin immer wieder ihr wichtigstes Kriterium für ein gelungenes Bild: „Wenn es über den Moment hinausreicht. Wenn es eine allgemeingültige Aussage und Energie hat“, sagt Koelbl. Und so hat auch die Serie Feine Leute nichts von dem ihr innewohnenden Erkenntnisgewinn über die zur Schau gestellte Saturiertheit, die Rollenklischees und Rituale der bundesrepublikanischen Gesellschaft der frühen 1980er-Jahre verloren.

Für ihr Projekt war Koelbl in den Jahren 1979 bis 1985 viel unterwegs. Sie fotografierte in Baden-Baden, Bayreuth, Berlin, Bonn, Frankfurt a. M., Hamburg, Regensburg, St. Moritz und Wien, vor allem aber immer wieder in München. Sie besuchte Film-, Opern- und Pressebälle, Festspieleröffnungen, Renn- und Wintersportfestivitäten, Modenschauen, und auch eine prunkvolle Fürstenhochzeit war dabei. „Ich habe mich immer bei den Festen akkreditieren lassen“, berichtet Koelbl, und auch Feine Leute war „ein komplett freies Projekt, meine Idee, ohne Auftrag“, das sie mit ihrer Leica R4 fotografierte.

Vor allem die Körpersprache und nicht zuletzt das Verhältnis von Männern und Frauen werden in der Serie in den Mittelpunkt gerückt. Meist im engen Ausschnitt, direkt, schonungslos und gern auch mit einer gehörigen Portion Ironie. Koelbl ging es immer darum, „welche Körpersprache zu sehen ist, was erzählen die Momente über die Gesellschaft und über die Menschen. Beim Tanzen versuchte ich, ein Teil der Bewegung zu sein. Manchmal mehr vom Rand, aber auch von innen, ich versuchte immer zu beobachten. Meine Haltung ist, sich möglichst organisch zu bewegen, nicht aufzufallen und ein guter Beobachter zu sein“. Und sie betont: „Man darf nicht Teil der Gesellschaft sein, sonst verliert man den genauen Blick.“
Ulrich Rüter
Bild: © Herlinde Koelbl

LFI 8.2024+-

Einen umfassenden Überblick über ihr fotografisches Schaffen finden Sie im LFI Magazin 8.2024. Mehr

Herlinde Koelbl+-

10 Portrait Herlinde Koelbl ©Johannes Rodach
© Johannes Rodach

Herlinde Koelbl wurde am 31. Oktober 1939 in Lindau geboren. Nach einem Modestudium entdeckte sie ab Mitte der 1970er-Jahre die Fotografie als ihr kreatives Ausdrucksmedium. In der Folgezeit begann sie neben Auftragsarbeiten für Magazine eine enorm produktive Veröffentlichungsreihe von selbstgestellten fotografischen Langzeitprojekten, die oft von Interviews begleitet wurden. Aus einigen Projekten resultierten auch Dokumentarfilme. Ihre einfühlsamen und oft philosophischen Interviews erschienen regelmäßig im ZEITmagazin. Im Kleinbildbereich arbeitet sie vor allem mit Leica Kameras, im Mittelformat auch mit einer Hasselblad Kamera. Koelbl hat mehr als 20 Bildbände veröffentlicht und wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit der Medal of Excellence (1987), dem Dr. Erich Salomon-Preis der DGPh (2001), dem Bundesverdienstkreuz am Bande (2009), dem Bayerischen Verdienstorden (2013) und dem Leica Hall of Fame (2024). Sie lebt und arbeitet in Neuried bei München. Mehr

 

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Herlinde Koelbl