Nachruf: Kai Wiedenhöfer

16. Januar 2024

Mit nur 57 Jahren ist der Fotograf am 9. Januar an einem Herzinfarkt gestorben. Seine Aufnahmen von Mauern ließen ihn zum wichtigen Mahner und Zeitzeugen werden.
Kai Wiedenhöfer zählt zu den bedeutendsten Dokumentarfotografen seiner Generation. Und er war weit mehr als ein Dokumentarist: Seine Bilder konstatieren nicht nur die gesellschaftlichen und politischen Konfrontationen, sondern haben immer auch einen stark emotionalen Zugang zu den Konflikten ermöglicht.

Geboren wurde er am 3. März 1966 in Schwenningen am Neckar. Sein Studium an der Essener Folkwang-Universität der Künste mit dem Schwerpunkt Dokumentarfotografie und Editorial Design schloss er 1995 ab. In den Jahren 1991/1992 hat er am Institut français d’études arabes in Damaskus Arabischkurse belegt. Schon als Fotostudent dokumentierte er den Fall der Berliner Mauer, für ihn „ein politisches Schlüsselerlebnis“. Diese Erfahrung, Zeuge der Geschichte zu sein, sollte ihm in der Folgezeit wichtigste Motivation sein. Er fotografierte in zahlreichen Konfliktgebieten, zeigte die Folgen von Krieg und Konflikt und suchte dabei immer auch eine humanistische Komponente in den Auseinandersetzungen, um mit hoffnungsvollen Motiven die Sehnsucht nach Frieden auszudrücken. Ein Fokus seiner Arbeit war das Fotografieren von Mauern und Sperrzäunen: in Berlin, Belfast, Mexiko, Ceuta und Melilla, in Bagdad und immer wieder die Mauer, mit der Israel sich umgibt. Zwischen 2003 und 2018 reiste er zehnmal nach Israel und in die besetzten palästinensischen Gebiete, um dort Zäune, Mauern und Checkpoints zu dokumentieren. Seine Aufnahmen sind aktueller denn je und belegen eindrücklich, dass die Hoffnung auf Frieden nicht durch Mauern umgesetzt werden kann und Trennzäune dauerhaft keine Konfliktlösungen sind. Seine Aufnahmen hat der Fotograf immer auch als Diskussionsanregung verstanden, vor allem wenn seine Motive großformatig in Ausstellungen und Außenräumen gezeigt wurden. Seine Langzeitprojekte haben nichts von ihrer Wirkung verloren, seine Fotografien zeigen eindrücklich das Menschenverachtende, aber auch die Absurdität der Bauten, die gigantische Zeichen der Hilflosigkeit gegenüber den ungelösten Problemen bleiben.

Der Fotograf und sein Werk wurden vielfach ausgezeichnet. So erhielt er unter anderem 2002 die Leica Medal of Excellence in New York, den Alexia Grant for World Peace and Cultural Understanding (2002), zwei World Press Photo Awards (2002 und 2004), den W. Eugene Smith Grant in Humanistic Photography (2002) und den Carmignac Gestion Photojournalism Award, Paris (2009). Seine Serien hat er in zahlreichen Bildbänden veröffentlicht, so erschienen bei Steidl Perfect Peace (2002), Wall (2007), The Book of Destruction (2010) und Confrontier (2013). Das für dieses Jahr angekündigte großformatige Buch Wall and Peace wird nun schon ein visueller Nachruf auf den Fotografen.

Als Bildjournalist hat er die Lebensgefahr als Teil seines Alltags kennengelernt. Nun hat ihn beim Rennradfahren in Schwaben ein Herzinfarkt ereilt, an dessen Folgen er gestorben ist. Die Fotowelt hat einen mutigen, ehrlichen und klugen Beobachter verloren.
Ulrich Rüter
Erstes Bild © Holger Strehlow; Alle anderen Bilder auf dieser Seite: © Kai Wiedenhöfer
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