Buch des Monats: This Golden Mile

Kavi Pujara

11. Oktober 2022

Was ist indisch – was ist britisch? Mit der Rückkehr in das Stadtviertel seiner Kindheit begann der britische Fotograf eine visuelle Erforschung der Themen Heimat, Identität und Zugehörigkeit.
Still, manchmal selbstbewusst, manchmal scheu oder skeptisch: Fast alle Porträtierten schauen in die Kamera des Fotografen, viele widmen ihm ihre ganze Aufmerksamkeit. Daneben gibt es viele typische, aber unscheinbare Orte, an denen die indischen Spuren vielfältig und unübersehbar sind. Die Goldene Meile, die dem wunderbaren Bildband den Titel gab, liegt in Leicester, einer der ältesten Städte im Zentrum der britischen Insel. Der Zuzug von Einwanderern vom indischen Subkontinent war nach dem Zweiten Weltkrieg dort besonders hoch; der Anteil von Einwanderern liegt heute bei etwa 40 Prozent. Die Stadt gilt als ethnisch vielfältig und tolerant, gleichwohl es auch immer wieder gesellschaftliche Spannungen gibt.

Der Fotograf, 1972 geboren, wuchs ganz in der Nähe der sogenannten Goldenen Meile auf: eines Straßenabschnitts, an dem die indische Gemeinde ihr Zentrum gefunden hat. Doch in seinem Bildband geht es nicht einfach nur um den einen Kilometer langen Abschnitt der Melton Road, die in die Belgrave Road mit ihren Sari-Läden, indischen Restaurants und Juwelieren übergeht. Die typische Atmosphäre findet man ein wenig weiter: „Es geht um die Arterien und Venen, die von ihr ausgehen und den Teilen des Viertels abseits der zentralen Handelsstraße Leben einhauchen. Diese Goldene Meile existiert in der Poesie von Häusern, Tempeln und Straßenecken, in den Gassen und durch die Lücken in den Stahlzäunen, die zu verfallenen Industriegeländen führen“, so Pujara. Für ihn ist „die Goldene Meile zugleich Ausgangspunkt und Endpunkt, die letzte Meile einer langen Reise nach Großbritannien“.

2016 kehrte der Fotograf mit seiner eigenen Familie in das Viertel zurück und begann zu fotografieren, um sich wieder mit der Stadt, ihren Bewohnern und seiner eigenen Vergangenheit zu verbinden. Während seiner Kindheit gehörte offener Rassismus zur Normalität: Er wurde bespuckt, von der Nationalen Front gejagt, als „Kanake“ oder „Paki“ beschimpft und aufgefordert, „nach Hause zu gehen“. Sobald er 18 Jahre alt war, zog er nach London und blickte nie wieder zurück.

Pujaras persönliche Spurensuche fällt in eine Zeit aktueller gesellschaftlicher Umbrüche – wenige Wochen nach seiner Rückkehr stimmte das Vereinigte Königreich beim EU-Referendum für den Brexit, und 2020 brachte die konservative Regierung die Reform der Einwanderungsgesetzte auf den Weg. Schnell wurde dem Fotografen klar, dass das Persönliche und das Politische zusammengehören, dass es unmöglich ist, „die gesellschaftliche Wende hin zu einem einwanderungsfeindlichen Populismus zu ignorieren“. Pujara hofft, dass sein nun publiziertes Buch zur Diskussion über die Einwanderung beitragen wird.

Bei der Arbeit nutzte er Großformat und Stativ: „Das half mir, langsamer zu werden, mit den Menschen zu sprechen und bis zu einem gewissen Grad die Ästhetik der Bilder zu bestimmen, die ich machen konnte“, sagt Pujara. Seine Serie ist weit mehr als eine persönliche Rückkehr – durch das genaue Hinschauen wird sie beispielhaft für alle sich verändernden Einwanderungsgesellschaften. 

Kavi Pujara: This Golden Mile
116 Seiten, 57 Farbabb.
22 × 26,5 cm, Englisch und Gujarati
Setanta Books
Ulrich Rüter
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Kavi Pujara

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Portrait_Pujara(C)Nathan Vidler
© Nathan Vidler

...wurde 1972 in Leicester geboren und arbeitet als Filmeditor für die BBC. Unabhängig davon entwickelt er persönliche, dokumentarische Langzeit-Fotoprojekte. Seine Arbeiten waren Teil der Wanderausstellung Facing Britain. Britische Dokumentarfotografie seit den 1960er Jahren, die im Museum für Fotografie, Krakau, im Mönchehaus Museum Goslar und in der Kunsthalle Darmstadt ausgestellt wurde. Pujara war einer der Gewinner des British Journal of Photography, Portrait of Britain 2020 und Empfänger eines Stipendiums der Martin Parr Foundation für Fotografie im Jahr 2020. Zwei Porträts aus This Golden Mile wurden für die Ausstellung Taylor Wessing Photographic Portrait Prize 2022 der National Portrait Gallery ausgewählt. Die begleitende Ausstellung wird bis zum 18. Dezember in der Martin Parr Foundation in Bristol präsentiert. This Golden Mile ist seine erste Einzelausstellung und seine erste Monografie. Mehr

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