Buchtipp: When Cages Fly

Kiana Hayeri

9. Juli 2024

Einblicke in die verschlossene Welt eines afghanischen Frauengefängnisses bietet der Bildband der LOBA-Gewinnerin 2022. Weit darüber hinaus ist er ein bewegendes Dokument über die dramatische Situation in dem seit Jahrzehnten leidenden Land.
Mit großem Mut und entschlossener Beharrlichkeit berichtet die iranisch-kanadische Fotografin seit Jahren über die sich stetig verschlimmernde Situation in Afghanistan. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen die afghanischen Frauen, die heute umso mehr unter dem Terrorregime der Taliban leiden. Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen zählt Afghanistan weltweit zu den Ländern mit den größten Restriktionen für Frauen. Mädchen dürfen nicht auf weiterführende Schulen gehen, ein Studium ist ausgeschlossen. Frauen können unbegleitet kaum das Haus verlassen und keine öffentlichen Orte besuchen. Gesellschaftlich gibt es keinen Schutz vor Gewalt, die oft von den eigenen Ehemännern oder Familienmitgliedern ausgeht. So kann selbst ein Gefängnis zu einem Schutzraum werden. Dies war der Ausgangspunkt für den ergreifenden Bildband, den die Fotografin jetzt im Selbstverlag veröffentlicht hat.

Die zugrundeliegende Geschichte „Where Prison Is a Kind of Freedom“, die ursprünglich im New York Times Magazine veröffentlicht wurde, zeigt das Leben von Frauen, die inhaftiert wurden, weil sie sich durch drastische Maßnahmen aus missbräuchlichen und gewalttätigen Ehen befreit haben. Aus diesem Beitrag, der 2020 mit der renommierten Robert Capa Gold Medal ausgezeichnet wurde, entwickelte die Fotografin ihr Buchprojekt, das die heikle Balance zwischen Freiheit und Gefangenschaft in drei Kapiteln beleuchtet.

Doch nicht nur die Geschichte und die Fotografien des Bildbandes sind bewegend, auch für die Umsetzung hat Kiana Hayeri mit vielfältigen Gestaltungsmitteln gearbeitet. Das zentrale Mittelkapitel präsentiert sich als verschlossener Seitenblock, der erst aufgeschnitten werden muss, um zu den Bildern zu gelangen und sich metaphorisch Zugang zu den Inhaftierten zu verschaffen. Ein kluger Effekt. Ebenso das Spiel mit den Materialien: Immer wieder sind transparente Seiten eingefügt, die Einzelschicksalen Raum geben. Gerahmt wird das mittlere Kapitel von zwei Teilen, die das Leben außerhalb der Gefängnismauern schildern. Frauen existieren hier nur noch als Schattenwesen innerhalb der Grenzen gesellschaftlicher Zwänge. Ein ergänzendes Zusatzheft zeigt abschließend die drastischen Veränderungen, die auch das zuvor gezeigte Frauengefängnis nach der Machtübernahme der Taliban 2021 erfahren hat. Selbst das Gefängnis als Ort eingeschränkter Freiheit existiert nicht mehr. Und so dient diese Gegenüberstellung als erschütternde visuelle Metapher, die nicht nur den Weg der Frauen in den Mauern des Gefängnisses beschreibt, sondern den einer ganzen Nation, die mit Terror und Tyrannei zu kämpfen hat.

Ein packender Bildband, dem man viel Unterstützung wünscht, denn Kiana Hayeri wird ihre Arbeit in Afghanistan fortsetzen und eine Realität zeigen, die ansonsten unsichtbar bliebe.
Ulrich Rüter
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Kiana Hayeri

When Cages Fly+-

a9ecc3e37f5d2f8f13951dbeed786f1a_xx_large

Fotografin + Autorin: Kiana Hayeri
246 + 24 Seiten, 127 Farbabb.
22,5 × 17,5 cm, Englisch
Gestaltung: Santiago Escobar-Jaramillo/Raya Editorial
1. Auflage – März 2024
Exemplare sind über die Homepage zu beziehen.

Kiana Hayeri+-

© Aaron Vincent Elkaim
© Aaron Vincent Elkaim

Kiana Hayeri, geboren 1988, wuchs in Teheran, Iran, auf und wanderte als Teenager nach Toronto, Kanada, aus. Im Jahr 2021 erhielt sie die Robert Capa Gold Medal für ihre Fotoserie Where Prison Is a Kind of Freedom, die das Leben afghanischer Frauen im Gefängnis von Herat dokumentiert. Im Jahr 2020 erhielt sie den Tim Hetherington Visionary Award und wurde zum sechsten Empfänger des James Foley Award for Conflict Reporting ernannt. Hayeri ist Senior TED Fellow und arbeitet regelmäßig für die New York Times und National Geographic. Sie lebt in Kabul, Afghanistan. Mehr

1/12
1/12

Buchtipp: When Cages Fly

Kiana Hayeri