Buchtipp: On Reading

David Hurn

10. Januar 2025

Ein neuer kleiner Bildband des Leica-Fotografen entführt uns in die Welt der Lesenden und zeigt Momente der Ruhe und Vertiefung. Eine wunderbare Hommage an das Glück des individuellen und universellen Eintauchens in imaginäre Räume.
Jedes aufgeschlagene Buch ist eine offene Tür. Das Lesen ist zumeist ein sehr privater, intimer Moment, in dem sich die Leserin oder der Leser aus dem Alltag für einen Augenblick zurückzieht. Der Fotograf David Hurn ist selbst ein leidenschaftlicher Leser, und er hat in seiner langen Karriere unzählige Bilder von Lesenden gesammelt. Fasziniert hat ihn dabei offenbar immer auch das Beobachten von Menschen, abgetaucht in eine andere Welt, die sich fotografisch nicht zeigen lässt. Fotografie beschäftigt sich mit der Oberfläche, das Lesen ist eine individuelle, nach innen gerichtete Erfahrung. Und daher ist das Betrachten von Lesenden immer auch ein spannender Moment, sich mit diesem Widerspruch auseinanderzusetzen.

Vertieft in Bücher, Magazine oder Zeitungen – ob Roman oder Rugbymagazin, ob Museumsführer oder Speisekarte: Gelesen wird überall – im Café, im Zug, auf der Straße, am Strand, sogar im Pool. Hurns Auswahl zeigt Alltagssituationen, dabei auch kuriose Momente, sowohl Unbekannte als auch Prominente, wie die Beatles (1964), die japanische Schauspielerin Akiko Wakabayashi (1966) oder Jane Fonda mit dem Regisseur Joseph Losey (1972). Und auch Familienmitglieder des Fotografen sind dabei und reihen sich ganz selbstverständlich in die Galerie der Lesenden ein. In den 64 schwarzweißen Bildern, fotografiert zwischen 1957 und 2023, zeigt sich eine Reise um die Welt, von den USA quer durch Europa bis nach Katar und Neuseeland – und immer wieder Wales, Hurns Lebensmittelpunkt. Und so gibt der Bildband auch ganz nebenbei einen Einblick in das riesige Lebenswerk des Magnum-Fotografen.

Gewidmet hat Hurn das Buch André Kertész, denn mit dieser Publikation erfüllt sich ein Versprechen, das bereits 40 Jahre zurückliegt. Bei dem Fotoprojekt A Day in the Life of London mit 100 beteiligten Fotografen trafen sich 1983 Hurn und der damals 89-jährige Kertész und sprachen über eines von Hurns Lieblingsbüchern: On Reading, 1971 erstmals vom verehrten Vorbild Kertész veröffentlicht. Hurn bat darum, ein eigenes Buch unter diesem Titel herausbringen zu dürfen, wenn er selbst 89 Jahre alt wäre. Kertész gab die Erlaubnis – On Reading ist das wunderbare Ergebnis. Waren bei Kertész alle Protagonisten noch in Bücher vertieft, haben bei Hurn auch Computer, Reader und Handys als Werkzeuge ihren Platz gefunden. Die Möglichkeit, in eine Parallelwelt zu verschwinden, hat sich jedoch nicht verändert, ganz gleich, ob analog oder digital.
Ulrich Rüter
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © David Hurn

David Hurn: On Reading+-

On Reading_cover

Design von Jessamine Thoemmes-Tondowski
Editiert von Josephine Atkinson
64 Seiten, 64 Schwarzweißabbildungen
15,5 × 20,4 cm, Englisch
RRB Photobooks

David Hurn+-

(C) David Hurn _ Magnum Photos _ Agentur Focus 2
© David Hurn / Magnum Photos / Agentur Focus

Der Fotograf wurde am 21. Juli 1934 in Redhill, Surrey, England geboren. Als Autodidakt sammelte David Hurn erste Erfahrungen als Bildjournalist in London für die Reflex Agency und erhielt erste Anerkennung durch seine Aufnahmen, die während der ungarischen Revolution 1956 entstanden. In den 1960er-Jahren war er auch als Standbildfotograf beim Film tätig. Seit 1967 ist er Vollmitglied der Agentur Magnum. Seit 1972 lebt der Fotograf in Tintern, Wales. In Newport, Wales, gründete er 1973 die School of Documentary Photography, an der er bis 1989 unterrichtete. Etwa 1500 seiner eigenen Fotografien sowie den Großteil seiner wertvollen Sammlung schenkte er 2017 dem Amgueddfa Cymru – National Museum Wales in Cardiff. Mehr

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