Vrindavan, Porträt einer Stadt

Dario Scovacricchi

3. September 2021

Sie wird die „Stadt der Witwen“ genannt, aber die indische Stadt Vrindavan ist viel mehr als das. Der italienische Fotograf Dario Scovacricchi fängt das spirituelle Leben entlang des Yamuma-Flusses ein, der die Stadt durchfließt.
Kein Land ist wohl so bunt wie Indien, doch Dario Scovacricchis Schwarzweißserie sucht weniger das Erwartbare als das Geheimnisvolle. Seine Bilder aus Vrindavan erzählen davon, wie die Religion eine ganze Stadt beeinflussen und zur Identität ihrer Bewohner werden kann.

LFI: Ihre fotografische Geschichte spielt in Vrindavan – was macht diese Stadt für Sie so besonders?
Dario Scovacricchi: Ich denke, es ist die Tatsache, dass Vrindavan ein so wichtiger Ort für eine Milliarde Menschen ist. Als eine der heiligsten Städte Indiens (nach hinduistischer Überlieferung ist es der Ort, an dem Krishna seine Kindheit verbrachte), zieht sie Pilger aus dem ganzen Land und aus allen sozialen Schichten an.

Sie sagen, dass Sie die Stadt nicht nur als „Stadt der Witwen“ darstellen wollten, als die sie bekannt ist. Was haben Sie sonst noch entdeckt?
Ich lernte Vrindavan zum ersten Mal kennen, als ich William Dalrymples Buch The Age of Kali las, in dem sich der Autor auf jene Witwen konzentriert, die sich nach dem Tod ihrer Ehemänner entschließen, dorthin zu ziehen. Es war mir ein Rätsel, wie eine Frau eine solche Entscheidung treffen konnte, so wie es ein Rätsel ist, welche Gesellschaft und Kultur ein solches Umfeld hervorgebracht hat. Nachdem ich dort gewesen war, wurde mir klar, dass die Religion die ganze Stadt auf millionenfache Weise beeinflusst, dass sie Teil ihrer Identität ist: Das Hauptziel dieses Projekts war es, einige dieser Aspekte und ihre wechselseitigen Verbindungen zu verdeutlichen.

Was war Ihr fotografischer Ansatz?
Ich betrachte ihn als eine Mischung aus Street Photography und Reportage, mit einer Sprache, die dem klassischen Fotojournalismus entlehnt ist. Ich verwende den Ansatz der Street-Fotografen, wenn ich nach neuen Orten Ausschau halte, an denen ich mich ständig bewege. Wenn ich schließlich etwas Interessantes finde, komme ich tagelang oder sogar wochenlang immer wieder zurück, bis ich das Gefühl habe, das Foto im Kopf zu haben. Die Bilder, die meine Sprache am meisten beeinflussen, sind die des Fotojournalismus aus den 90er-Jahren.

Sie arbeiten viel mit Details, manchmal erschaffen allein Hände oder einzelne Gegenstände ein Bild…
Als ich erstmals in Vrindavan ankam, war ich zunächst von dem ganzen Gewimmel angezogen. Aber ich bemerkte schnell, dass kleine Details die Geschichte hervorragend ergänzen können und dem Betrachter die Möglichkeit geben, das Foto und die Motive mit seinem persönlichen Leben in Verbindung zu bringen.

Gerade Indien ist als ein Land im Rausch der Farben bekannt. Aber Sie haben sich entschieden, in Schwarzweiß zu fotografieren. Warum?
Ich neige dazu, mich auf Aktionen und Muster zu konzentrieren, daher können Farben ein wenig ablenken, besonders an einem so bunten Ort wie Indien. Ich denke auch, dass Schwarzweißfotografie mehr verzeiht als Farbfotografie, da man bei fast allen Lichtverhältnissen fotografieren und trotzdem gute Ergebnisse erzielen kann.

Welche Kamera haben Sie verwendet, und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Für dieses Projekt habe ich zwei Leica M-Kameras (M6 und M4-P) verwendet, die sich in der Hand leicht anfühlen, aber gleichzeitig stabil wie ein Ziegelstein sind. Sie sind unauffällig, und die Objektive sind in der Regel klein, daher kann ich mich wie ein Gelegenheitsfotograf geben. Wenn ich ins Ausland reise, befürchte ich, dass ich die Aufmerksamkeit aller auf mich ziehe, besonders in geschlossenen Räumen. Daher ist eine leise Kamera wie die Leica M für mich unerlässlich, wenn ich so unsichtbar wie möglich sein möchte. Da die Kamera keinen beweglichen Spiegel hat, kann ich auch mit kürzeren Verschlusszeiten aus der Hand fotografieren, was besonders praktisch ist, wenn man mit Film fotografiert und einen festen ISO-Wert hat.
Katja Hübner
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Dario Scovacricchi
EQUIPMENT: ​​​​​​​Leica M6, M4-P mit Voigtlander Ultron 1:2/28 und Voigtländer Nokton 1:1.4/35

Dario Scovacricchi+-

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© Abhinav Goswami

...ist ein begeisterter Analog-Fotograf mit Sitz in Florenz, Italien. Sein Hauptinteresse gilt Kulturen, Religionen und sozialen Themen. Er ist fasziniert von alten Traditionen und ihren Auswirkungen auf die heutige Zeit. Seine Projekte und Geschichten konzentrieren sich auf den indischen Subkontinent, den er in den letzten Jahren mehrmals bereist hat. Mehr

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