Buchtipp: Protege Noctem

13. Juni 2023

Motten, Fledermäuse, aber vor allem auch die Menschen sind Opfer einer stetig zunehmenden Lichtverschmutzung. Ein spannendes Buch von Mattia Balsamini berichtet über die dramatischen Folgen des Verlustes an Dunkelheit.
Verteidigen wir die Dunkelheit! So einfach lässt sich das Programm hinter dem Projekt des italienischen Fotografen zusammenfassen, das er zusammen mit dem Autor Raffaele Panizza in seinem Bildband Protege Noctem vorstellt. Als eine Errungenschaft der Großstadt in der Moderne galt lange die Einführung von Straßenlaternen, die im Zusammenspiel mit Leuchtreklamen, Schaufenstern und Straßenverkehr auch in der Nacht dem „modernen Menschen“ Attraktion und zugleich Sicherheit gaben. Längst hat sich das künstliche Licht vom Segen zum Fluch verwandelt, kaum ist heute noch nächtliche Dunkelheit zu finden. Mit gravierenden Folgen für Menschen, aber auch für Flora und Fauna.

Der Nachthimmel gleicht heute durch die Strahlen von Milliarden künstlicher Lichter einer „verschmutzen Leinwand“, so die Autoren des Buches, die in einer zweijährigen Untersuchung die Folgen der Lichtverschmutzung, aber auch Forschungseinrichtungen und konkrete Lösungsvorschläge zur Verbesserung der nächtlichen Lichtsituation kennengelernt haben. Die Sterne sind in den meisten Städten heute nicht mehr erkennbar, etwa 83 Prozent der Weltbevölkerung hat die Milchstraße noch nie gesehen. Beispielsweise sind in Shanghai heute 95 Prozent der Sterne für das bloße Auge unsichtbar, und doch wurde dort vor Kurzem das größte Astronomiemuseum der Welt eröffnet. Zu viel Licht in der Nacht stört die globalen Ökosysteme. Beispielsweise fliegen Nachtfalter stundenlang um Laternen und sterben vor Erschöpfung. Weder eine Paarung ist möglich, noch beteiligen sie sich an der Bestäubung von Pflanzen. Aber auch die Pflanzen verlieren bei ständigem Licht den Sinn der Jahreszeiten, Zugvögel finden ihren Weg nicht mehr, ganze Arten sind vom Aussterben bedroht. Doch auch der Mensch braucht den Wechsel von Tag und Nacht, das Wechselspiel von Wachsein und Schlafen. Gerät dieses System aus der Balance, können Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Depression die Folge sein.

Die Bildserie des Fotografen geht weit über eine Dokumentation hinaus und verleiht dem Thema eine individuelle künstlerische Dimension. Die Folgen des apokalyptischen Szenarios werden in einem visuellen Parcours sichtbar, die Bildfolge ist erfreulich dynamisch, abwechslungsreich, lenkt den Blick der Betrachtenden und führt im Zusammenspiel mit den Texten zu neuen Erkenntnissen. Wie wichtig das Engagement der Menschen ist, um den Zustand zu verändern wird an konkreten Beispielen deutlich. Allein der Austausch von Lampen, die Installation von blaulichtfreier Beleuchtung kann helfen, dem Verschwinden der Nacht und ihrer Lebewesen entgegenzuwirken. Wir sollten beginnen, keine Angst mehr vor der Dunkelheit zu haben. Der spannend gestaltete Bildband ist ein Beitrag zum Umdenken.
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite: © Mattia Balsamini

Mattia Balsamini: Protege Noctem (If darkness disappeared)+-

Bildschirmfoto 2023-11-15 um 15.37.01

Essays von Raffaele Panizza
200 Seiten, 100 Schwarzweiß- und Farbabb., 21 × 28,5 cm, Englisch
Witty Books
Gestaltung: Multi Form

1/10
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Buchtipp: Protege Noctem