Buch des Monats: Atlantic Cowboy

20. März 2023

Die Männer, vor allem ihre Rollenbilder, scheinen aus der Zeit gefallen. Früher selbst- und traditionsbewusst, ist der „Atlantic Cowboy“ heute eher eine langsam verschwindende Spezies, wie die Serie der norwegischen Fotografin Andrea Gjestvang eindrücklich zeigt.
Kein Bildband für Tierschützer oder gar Vegetarier: Auf den Färöer-Inseln gehören die Haustierschlachtung und vor allem Wal- und Fischfang zum Alltag der Männer. Die norwegische Fotografin zeigt sie daher auch in blutverschmierter Montur bei der Arbeit, die gemacht werden muss – so scheint es. Diese Bilder werden in dem Buch mit den ebenso atemberaubend schönen wie widrig rauen Landschaften der Inseln kombiniert. Und auch die Freizeit der Männer wird gezeigt: Verloren sitzen sie in häuslicher Tristesse da oder versuchen, die Einsamkeit durch gelegentliches gemeinsames Feiern zu vertreiben. Die kraftvollen, intensiven Bildmotive der Fotografin changieren zwischen Roh- und Zartheit. Frauen sind kaum auf den Aufnahmen zu finden, und so erschließt sich schnell das hinter der Bildserie aufscheinende eigentliche Thema: der Verlust traditioneller Rollenbilder, der mit den demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen einhergeht.

Die Färöer-Inseln, ein Territorium des Königreichs Dänemark, liegen 320 Kilometer nordnordwestlich von Schottland und etwa auf halber Strecke zwischen Norwegen und Island. Obwohl sich die traditionellen Arbeiten wie der Fischfang modernisiert haben, ist er noch immer ein von Männern betriebener Wirtschaftszweig. Der Mann war und ist hier ein Jäger, der das Überleben der Familie sichert, so das herkömmliche Selbstbild; er war Fischer, Wal- und Vogelfänger, Schafzüchter, Bootsbauer, vielleicht auch noch Geschichtenerzähler. Doch während die Männer weiter zur See fuhren, hat sich die Gesellschaft verändert, sind viele der jungen Frauen ins Ausland gezogen, um dort zu arbeiten, eine Ausbildung zu beginnen oder zu studieren. Mehr als die Hälfte derjenigen, die weggehen, kehren nie wieder zurück, was dazu führt, dass unter den 54 000 Einwohnern das Defizit an Frauen weiter wächst.

Zwischen 2014 und 2019 reiste Andrea Gjestvang mehrfach zur Inselgruppe und untersuchte für ihr Langzeitprojekt die Folgen der gesellschaftlichen Veränderungen. Der nun publizierte Bildband ist eine gelungene Mischung aus Porträts, Stillleben und Landschaftsaufnahmen, vor allem aber eine kluge Reflexion über Tradition, veränderte Rollenbilder, Identität und auch Vereinsamung, die über die Inseln weit hinausreicht. Denn auch in anderen traditionellen Gesellschaftsstrukturen werden sich die Rollenbilder und Geschlechterverhältnisse weiter verändern. Die Männer auf den Färöer-Inseln sind nur ein Beispiel – wenn auch in grandioser Landschaft.
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite: © Andrea Gjestvang

Andrea Gjestvang: Atlantic Cowboy+-

Andrea cover

Mit einem Essay von Firouz Gaini
144 Seiten, 82 Farbabb.
30 × 22 cm, Englisch
Gost

1/10
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Buch des Monats: Atlantic Cowboy