Die Migration der Rentiere

„Die Nenzen sind ein indigenes Volk der Jamal-Halbinsel und leben traditionell von der Rentierzucht — ihre Herden umfassen bis zu 10 000 Tiere. Das Volk migriert jedes Jahr mehrere Tausend Kilometer, um die Herden zu neuen Futterstellen zu bringen. Das Bild zeigt eine Rentierherde während solch einer Migration, die alle paar Tage erfolgt.

Für mich ist das Bild so besonders, weil die Route hier direkt entlang des Bahndamms der sogenannten toten Trasse verläuft, die namensgebend für meine Arbeit Ghosts Along the Dead Track ist. Die Trasse ist eine in der Stalinzeit von Gulag-Häftlingen erbaute Eisenbahnlinie am Nordpolarkreis, entlang der ich durch Westsibirien gereist bin. Seit fast 70 Jahren liegt sie die meiste Zeit des Jahres ungenutzt, verfallen und von der Vegetation überwuchert unter einer Schneedecke.

Während meines einwöchigen Aufenthalts bei den Nenzen hatte ich keine genaue Orientierung, wie nah oder weit entfernt wir von der Polarkreisbahn sind, doch während der Migration, die ich miterleben durfte, kamen wir genau an dieser Trasse vorbei, und die Herde trabte in einer Reihe aufgereiht über viele, viele Kilometer den Bahndamm entlang. Besser hätte man die Szene nicht choreografieren können! Es war ein Moment, in dem zwei Stränge meiner Arbeit – der über das nomadische Leben in der Tundra einerseits und der über die Stalinbahn andererseits – perfekt zusammenkamen.

Die Szene ließ sich super mit der Leica M fotografieren, was mir besonders klar wurde, als ich das Bild großformatig für eine Ausstellung geprintet habe: Man kann jedes einzelne Rentier bis ins letzte Detail perfekt erkennen.“