Kire

Jürgen Gad

29. September 2022

Das kire ist ein Geheimnis der japanischen Kunst. Es vereinigt das Kunstschöne und das Naturschöne – der Fotograf Jürgen Gad setzt diesen Eingriff in die Natur in seinem fotografischen Werk um.
Die Natur ist für Jürgen Gad als Naturwissenschaftler eine große Lehrmeisterin. Aber auch eine unendliche Inspirationsquelle: Seit 20 Jahren beschäftigt sich der Fotograf mit dem Zen und nähert sich der Natur auf ästhetische Weise – als eine Erfahrung des Ganzen und für sich selbst.

LFI: Wieso Blüten?
Jürgen Gad:
Die Blüte steht stellvertretend für die ganze Natur, inklusive des Menschen. Um einmal einen Zenspruch zu zitieren: Das Teil existiert nicht ohne das Ganze, das Ganze nicht ohne das Teil. Also ist im Teil das Ganze existent und umgekehrt.

Was haben Sie mit ihnen gemacht?
Der Begriff kire im Titel für die Blütenfotos bedeutet so viel wie abschneiden, abtrennen. Ich habe ihn für die „Kire-Fotos“ wörtlich genommen. In der Zenästhetik nutzt man diesen Kunstgriff, um das Dargestellte, in dem Fall die Blüten, nicht als bloße Abbildung erscheinen zu lassen. In einem Pressvorgang werden getrocknete Blüten erzeugt, deren späteres Aussehen nicht genau vorhersehbar ist, weshalb die Auswahl für das eigentliche Foto erst erfolgte, nachdem er abgeschlossen war und ich direkt sehen konnte, wie die Blüte wirkte.

Wie haben Sie die getrockneten Blüten genau fotografiert?
Die Blüten wurden auf einen Leuchttisch gelegt und mit einer Kombination aus Durch- und Auflicht fotografiert. Die Kamera wurde dann vom Stativ aus genau horizontal positioniert. Die Auswahl des Bildausschnitts gelang großzügig mithilfe des rückwärtigen Displays. Die Scharfstellung erfolgte mit dem Autofokus, und vor der eigentlichen Aufnahme wurde – damit keine Erschütterung entstand – die Vorlaufzeit auf zwölf Sekunden festgelegt. Der Zeitautomat in Verbindung mit der Kontrolle des Histogramms ergab die korrekte Belichtungszeit. Die Aufnahmen selbst sind mit dem sogenannten Pixelshift-Modus (Multi-Shot) gemacht worden.

Was macht diese Technik besonders?
Ein Vorteil des Multishot-Verfahrens ist, dass man bei Makroaufnahmen relativ weit vom Motiv entfernt bleiben kann, denn die Auflösungsreserve von insgesamt 96 Megapixeln ist enorm. Dadurch kann man später am RAW-Konverter bequem den Ausschnitt nachträglich festlegen und muss, um die für Makroaufnahmen kritische Schärfentiefe zu erreichen, nicht so stark abblenden – Blende 8 reicht völlig aus. Ein weiteres Plus des Pixelshift-Modus gegenüber dem Single-Shot-Verfahren ist, dass die Nachteile des Bayer-Patterns umgangen werden können. Durch die jeweiligen primären Farbfilter vor der eigentlichen Fotodiode und die dadurch bedingt nötige Farbinterpolation „sieht“ jede Fotodiode alle Farben. Als Ergebnis gibt es – sinnvolle Bildbearbeitung durch den RAW-Konverter vorausgesetzt – außergewöhnlich klare Fotos mit einer sehr geringen Artefaktneigung, die sonst beim One-Shot-Verfahren in der Nähe der Auflösungsgrenze unweigerlich entstehen würde.

Wie sah Ihre Bildbearbeitung konkret aus?
Der jeweilige RAW-Konverter ist, was die Schärfungsalgorithmen betrifft, besonders gefordert, da das ursprüngliche Foto relativ weich erscheint. Wie ich im Laufe meiner Versuche mit dem Pixelshift-Modus festgestellt habe, erhöht ein Herunterrechnen der 96 Megapixel auf die nativen 24 Megapixel die Bildqualität der SL2-S noch einmal wesentlich. Im 100-Prozent-Modus des Bildschirms kann man Fotos sehen, wie sie kaum besser vorstellbar sind. Druckt man die Bilder am heimischen Fotodrucker aus, hinterlassen sie einen dreidimensionalen Eindruck. Der Grund dafür dürfte die sehr differenzierte Wiedergabe von feinsten Details sein.

Was haben Sie selbst beim Fotografieren der Blüten entdeckt?
Beim Fotografieren ist mir die Zartheit der gepressten Blüten aufgefallen, die sich, wenn man sie von unten beleuchtet, gut eignet, die interne Struktur hervorzuheben, die man im bloßen Auflicht sonst nicht erkennen kann.
Katja Hübner
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Jürgen Gad
EQUIPMENT: Leica SL2 und Sigma 1:2.8/105 DG DN Macro

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© Christiane Gad
© Christiane Gad

Jürgen Gad wurde 1954 geboren und fotografiert seit seiner Kindheit. Er ist promovierter Naturwissenschaftler, hat Geologie, Paläontologie und Zoologie studiert und arbeitete hauptberuflich als Geologe und Paläontologe. Heute ist er Pensionär und geht seiner Leidenschaft, der Fotografie, nach. Ihn fasziniert die Zenästhetik, und er betreibt dazu eine eigene Webseite, auf der er auch zahlreiche Fotos veröffentlicht. Mehr

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