The Seraphim
The Seraphim
Jesse Lenz
30. Mai 2024
Jesse Lenz philosophiert darüber, wie die größten Geheimnisse des Lebens durch das Prisma von kleinen Menschen betrachtet werden können und was The Seraphim zum Inhalt hat.
LFI: The Seraphim ist der zweite Band Ihrer Heptalogie The Seven Seals. Worum geht es darin im Gegensatz zu Ihrer ersten Monografie, The Locusts (Die Heuschrecken) (2020)?
Jesse Lenz: Ich würde sagen, es ist eher eine Fortsetzung. Ich betrachte diese Serie als eine Art Episodenroman. Es geht um die Suche nach Würde und Heilung in der Brüchigkeit und Unvollkommenheit des Lebens. Es geht darum, einen Weg zurück ins Reich der Verzauberung in der Kindheit zu finden. Als ich vor sieben Jahren mit dieser Arbeit begann, wollte ich das Leben meiner Kinder ehren, indem ich mich in ihre Welt hineinversetzte: eine mikrokosmische Welt aus Insekten, Pflanzen und wilden Tieren.
Welche Absicht steckt hinter The Seraphim?
Ich wollte visuell festhalten, wie die Dichotomie von Natur und Würde das Leben aller Lebewesen prägt. Ich wollte die beständigen, wiederkehrenden Zyklen und Rhythmen der Natur und das Leben, das untrennbar mit ihr verbunden ist, fotografieren. Dieses fortlaufende Projekt ist von Natur aus dokumentarisch: Ich fotografiere meine sechs Kinder, ihr tägliches Leben und unsere Umgebung im ländlichen Ohio, aber es will numinoser sein, als es das Wort „dokumentarisch“ vermuten lässt.
In The Seraphim zeigen Sie die Natur und ihre Anmut durch die Augen ihrer Kinder. Erzählen Sie uns mehr darüber.
Meine Arbeiten sind generell eine Erweiterung meines Lebens und dessen, dem ich meine Zeit und Aufmerksamkeit widmen möchte. Ich glaube, dass die Natur das Gegenmittel gegen die Entzauberung der Moderne ist. Die Zeit, in der ein Kind einen Sinn für das Wunderbare entwickeln kann, ist jedoch sehr kurz, und die Samen müssen früh ausgebracht werden, sonst keimen sie nicht, wenn der Druck und die Ängste im Leben zunehmen. Ich interessiere mich für die Rolle der Spiritualität im menschlichen Leben und für die Art und Weise, in der die spirituelle Welt mit unserer eigenen interagiert. Mit der Kamera versuche ich, unseren Sinn für das Erhabene einzufangen, das sowohl persönlich als auch universell ist.
Worauf bezieht sich der Titel The Seraphim?
In den abrahamitischen Religionen stellen die Seraphim die höchste Ordnung der Engel dar. Sechsflügelige Wesen, deren Körper mit Augen übersät sind. Wenn sich in den Geschichten ein Engel einem Menschen offenbarte, musste er ihm sagen: „Habt keine Angst.“ Es sind wunderschöne und furchterregende Geschöpfe. Während langer, meditativer Wanderungen kam ich dazu, Eulen als eine reale Manifestation der Engel und Dämonen zu betrachten, mit denen ich als Kind aufgewachsen bin. Schöne und schreckliche Kreaturen, die für Menschen unsichtbar sind, es sei denn, sie offenbaren sich dir, oder du hast Augen, um sie zu sehen. Ich finde es sehr bezaubernd zu wissen, dass es diese Wesen wirklich gibt und dass sie in meinem Wald leben. Es heißt auch, dass Satan ein Seraph war, bevor er auf die Erde gestürzt wurde. Das ist eine Erinnerung an die Dualität der Dinge.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Heptalogie zu produzieren?
Die Idee für die Heptalogie war noch nicht ganz ausgereift, als ich The Locusts veröffentlichte, aber ich wusste, dass ich diese Arbeit fortsetzen würde, solange ich Kinder und Enkelkinder habe. Das siebte Buch wird zu dem Zeitpunkt erscheinen, an dem meine jüngsten Kinder – Zwillinge – aufs College gehen, das wird ein guter Abschluss der Serie. Dieses Projekt schreitet mit dem Tempo der Natur und des Lebens eines Kindes voran. Es erfordert Präsenz und Ausdauer. Die Fotos erschließen sich dem Betrachter durch geduldige Beobachtung. Ich glaube, dass diese Art von Arbeit ihre eigene, ursprüngliche Art der Kommunikation mit sich bringt.
Jesse Lenz+-
Geboren 1988, in Montana, USA, ist Autodidakt und neben seiner Tätigkeit als Fotograf multidisziplinärer Künstler. Er ist der Autor von The Locusts (Charcoal Press, 2020) und Gründer und Leiter des Charcoal Book Club und der Chico Review, einer Plattform zur Erkundung der Fotografie. Als Illustrator hat er Bilder für Publikationen wie TIME, The New York Times Magazine, Newsweek, Rolling Stone und viele andere geschaffen. Von 2011 bis 2018 war er außerdem Mitbegründer und Herausgeber von The Collective Quarterly und The Coyote Journal. Er lebt mit seiner Familie auf einer Farm im ländlichen Ohio. Mehr