Nachruf: Fred Baldwin

27. Dezember 2021

Mit 92 Jahren ist der legendäre Fotograf und Gründer des FotoFest Houston verstorben.
Sein Leben war reich an Geschichten: noch zu seinem 90. Geburtstag erschien ein prächtiger Bildband: Dear Mr. Picasso – An illustrated love affair with freedom (Schilt Publishing). In 34 Kapiteln und auf rund 700 Seiten gab er hier ausführlich Einblick in sein spannendes Leben. Titelgebend war seine entscheidende Begegnung mit Pablo Picasso: 1955 gelang es ihm während eines Urlaubs in Südfrankreich, in das Haus des weltberühmten Künstlers vorgelassen zu werden. Zuvor hatte er ihm schon einen Brief mit einigen Zeichnungen zukommen lassen, allerdings musste er noch drei Tage vor der Tür von Picassos Villa in Cannes warten, bis sich die Tür für ihn öffnete. Picasso nahm sich nicht nur Zeit, sondern Baldwin durfte im Atelier des Künstlers auch frei fotografieren. Und die Porträts Picassos sollten den Auftakt einer langen fotografischen Karriere werden. Denn nach diesem Treffen stand sein Entschluss fest: er wollte Fotograf werden.

Frederick C. Baldwin wurde 1929 als Sohn eines amerikanischen Diplomaten in der Schweiz geboren und wuchs in privilegierten Verhältnissen auf. Er verlebte eine unstete und schwierige Jugend, in der er ständig von einem Ort zum nächsten zog, zunächst mit der Familie, später nach dem Tod seines Vaters, als Baldwin gerade fünf Jahre alt war, musste er seinen Platz in den Häusern der Familie, bei Freunden und in neuen Schulen finden, in die er geschickt und aus denen er schnell wieder hinausgeworfen wurde. Die Rastlosigkeit seiner Kindheit ließen ihn gegen die herrschenden Konventionen rebellieren und er scheiterte zunächst in seinem Studium. Er meldete sich bei den US-Marines, wurde im Koreakrieg eingesetzt, seine frühesten Fotografien entstanden in dieser Zeit.

Nach seiner Erfahrung mit Picasso wurde er ein erfolgreicher Fotograf, seine Reportagen erschienen in allen wichtigen internationalen Magazinen. „Was für mich magisch war, war, dass eine kleine, winzige Kamera als Reisepass für die Welt dienen konnte, als Schlüssel zum Öffnen aller Schlösser und Schränke der Forschung und Neugier", schrieb Baldwin über die Entdeckung der Macht der Fotografie. Er war in der ganzen Welt unterwegs, fotografierte u.a. in der Arktis, Afghanistan und in Indien. Einen besonderen Stellenwert nahm für ihn die Dokumentation der Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten der USA ein.

Baldwin verstand seine Arbeit mit der Leica immer auch als soziale und gesellschaftliche Aufgabe, deren Wirkung über seine persönlichen Erfahrungen weit hinausgehen sollten. Ab den frühen 1970er-Jahren arbeitete und lebte er zusammen mit Wendy Watriss, ebenfalls eine renommierte Leica Fotografin. Gemeinsam gründeten sie 1986 das FotoFest in Houston, drei Jahre nachdem sie erstmals die Rencontres d´Arles in Südfrankreich besucht hatten, und bauten das FotoFest in den folgenden Jahren zu der wichtigsten amerikanischen Fotografieplattform aus. Der Gründungsauftrag von FotoFest war von Anfang an „eine globale Vision von Kunst und interkulturellem Austausch mit sozialem Engagement zusammenzubringen“. Mit dem Festival hatte er noch einmal eine neue Aufgabe gefunden.

Fred Baldwin war ein Unikat. Sein Verleger Maarten Schilt beschreibt ihn in seinem Nachruf als „überlebensgroß - Fred war riesig, klug, witzig, intellektuell, freundlich, ein Gentleman, ein großartiger Freigeist, ein wunderbarer Geschichtenerzähler.“ Sein Tod am 15. Dezember kam überraschend. Sein Werk und seine Initiativen werden bleiben. (Ulrich Rüter)

Zum Weiterlesen: Hier finden Sie einen Leica Blog-Eintrag über Dear Mr. Picasso.
 

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