Buch des Monats: Dr. Paul Wolff & Alfred Tritschler – Die gedruckten Bilder 1906–2019

Wolff & Tritschler

22. Juni 2021

Spannende Fotografiegeschichte und weit mehr als ein Werkverzeichnis: Mit unendlicher Materialfülle und scheinbar unerschöpflichen Detailinformationen widmet sich der Bildband den umtriebigsten Fotografen und Publizisten ihrer Zeit.
War der Ausstellungskatalog zum Werk von Dr. Paul Wolff und Alfred Tritschler, der vor zwei Jahren die Eröffnung des Ernst Leitz Museums in Wetzlar begleitete, schon opulent, so legt diese neue Publikation noch einmal nach. Nicht nur an Gewicht: Knapp ein Pfund mehr bringt sie auf die Waage, und mit 600 Seiten übertrifft das neue Kompendium den Katalog noch einmal um 130 Seiten. Aber hier geht es nicht um Superlative, sondern um Inhalt – und in diesem Punkt ergänzen sich die beiden Bildbände hervorragend. Präsentierte der Ausstellungskatalog sehr anschaulich Leben und Werk mit einem großen Abbildungsteil, so zeigt sich das neue Buch durch seine akribisch zusammengetragene Fülle deutlich kleinteiliger. Überbordend die Masse an Abbildungen, Werkausgaben und Veröffentlichungslisten. Trotzdem funktioniert das Layout der Publikation, die weit mehr als ein Nachschlagewerk für Sammler ist. Das Buch verführt immer wieder, genauer hinzusehen. Ganz im Sinne von Wolff, lautete doch einer seiner Wahlsprüche, „nicht was man sieht, sondern wie man sieht“, sei entscheidend.

Mit Unterstützung eines breiten Teams wurde der Bildband vom Sammler und ausgewiesenen Experten zum Fotobuch Manfred Heiting und der Kunsthistorikerin Kristina Lemke, ebenfalls langjährige Kennerin des Werks, herausgegeben. Beim Durchblättern wird schnell deutlich, mit welch unendlicher Genauigkeit und detektivischem Spürsinn hier gearbeitet wurde. Und so belegt der Band eindrücklich, dass Wolff (1887–1951) „der begabteste, experimentierfreudigste und findigste Fototechniker seiner Zeit“ war, wie Heiting in seiner Einleitung bemerkt. Wolffs Einzelveröffentlichungen für Verleger, Tourismusbehörden, Messeorganisatoren und Firmen sowie seine Bildbeiträge in nationalen und internationalen Jahrbüchern, Katalogen bis hin zu Romanen umfassen weit mehr als tausend Titel. Und auch international war er einer der am meisten veröffentlichten Fotografen, da er mit allen führenden Agenturen zusammenarbeitete.

Spät ist sein Werk wiederentdeckt worden, nicht zuletzt, da seine Arbeiten zu Lebzeiten Wolffs von keinem Museum oder privaten Sammler angekauft wurden. Sein Metier war das gedruckte Bild. Für ihn war der einzelne fotografische Abzug nur ein Zwischenprodukt, das dann als Werbeanzeige, Postkarte, Magazinbeitrag oder im Bildband seine eigentliche Wirkung entfalten sollte. „Er war ein überaus vielseitiger, flexibler und kreativer Bildgestalter“, so Heiting, „der für jeden Auftrag eine perfekte Lösung fand.“ Vor allem aber war er ein Pionier und Wegbereiter nicht nur der Farbfotografie, sondern vor allem der Kleinbildtechnik und daher auf das Engste mit Leica verbunden.

Bedeutung und Arbeitspensum wären ohne Alfred Tritschler (1905–1970), der seit 1927 für Wolff arbeitete, undenkbar. Ab 1934 auch sichtbar durch den alle Produktionen begleitenden Urhebervermerk „Dr. Paul Wolff & Tritschler“. Ihr Erfolg war eng verknüpft mit dem Aufschwung der Bildmedien und der Werbung und deren Missbrauch für ideologische Zwecke. Dr. Paul Wolff & Tritschlers Bildpublikationen haben im Kontext ihrer konkreten Verwendung – vor allem in den 1930er-Jahren – auch eine politische Bedeutung, die der Bildband ebenfalls beleuchtet.

Dieser Band ist die bisher detaillierteste Bestandsaufnahme zum Werk von Dr. Paul Wolff und Alfred Tritschler. Die jahrzehntelange Recherche wird sicher weiter ergänzt werden können, aber dieser Zwischenstand ist eine Entdeckungsreise, die jetzt auch vom Publikum unternommen werden kann. (Ulrich Rüter)

Dr. Paul Wolff & Alfred Tritschler. Die gedruckten Bilder 1906–2019
Herausgegeben von Manfred Heiting und Kristina Lemke; mit Essays von Rainer Stamm, Edward S. Schwartzreich und Thomas Wiegand
600 Seiten, 2980 Abbildungen. 26,6 × 28,8 cm. Englisch/Deutsch
Steidl

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Dr. Paul Wolff, geboren am 19. Februar 1887 in Mulhouse, studierte bis 1913 Medizin (Abschluss 1914). Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er im Film und als Fotograf, traf 1921 Oskar Barnack und erwarb 1926 seine ersten beiden Leicas. Sein Standardwerk Meine Erfahrungen mit der Leica wurde 1934 veröffentlicht. 1934 gründete er mit Alfred Tritschler, der seit 1927 für ihn tätig war, ein Unternehmen.

Alfred Tritschler, geboren am 12. Juni 1905, absolvierte in seiner Geburtsstadt Offenburg (Baden) eine fotografische Ausbildung und studierte ab 1924 Fototechnik in München. 1927 bewarb er sich bei Paul Wolff in Frankfurt um eine Stelle. Später wurde er Miteigentümer und führte nach Wolffs Tod am 10. April 1951 das Unternehmen selbstständig weiter. Am Silvesterabend 1970 verstarb Tritschler. Das Unternehmen hatte bereits 1963 ein Neffe übernommen. Mehr

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