Tim Page ist gestorben

26. August 2022

Mit 78 Jahren ist der britische Fotograf und Kriegsjournalist am 24. August verstorben.
Er gilt als einer der berühmtesten Vietnamfotografen – und gleichzeitig als ebenso schillernd wie berüchtigt. Wagemutig, kühn und nah am Geschehen zählen seine Leica M-Aufnahmen zu den wichtigen Fotografien, die das Bild vom Vietnamkrieg, aber auch das Bild des Kriegsreporters veränderten. Nun ist der legendäre Fotograf mit 78 Jahren in seiner Wahlheimat Australien in seinem Haus in Fernmount, New South Wales, einem Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebsleiden erlegen.

Im Alter von 17 Jahren verließ er heimlich seine Adoptiveltern in England, reiste durch Europa, den Nahen Osten, nach Indien und Nepal. Bereits ein Jahr später fand er sich in Saigon wieder, um die folgenden fünf Jahre über den Vietnamkrieg zu berichten. Seine Auftraggeber waren Time Life, UPI, Paris Match und Associated Press. Als Autodidakt hatte sich Page schnell den Namen eines der furchtlosesten Bildreporter erarbeitet, und später sollten nicht nur seine Fotografien als Vorlagen für viele Filme zum Vietnamkrieg dienen, sondern auch er selbst sollte zum Vorbild des risikofreudigen und drogensüchtigen Fotografen werden, den Dennis Hopper in Francis Ford Coppolas Film Apocalypse Now aus dem Jahr 1979 erschreckend eindrücklich spielte. Seine Arbeit empfand er als unerlässlich, um das Leid und die Sinnlosigkeit des Krieges zu dokumentieren: „Jedes Bild ist ein Antikriegsbild“, bekannte Page noch 2013 in einem Interview. „Ich behaupte nicht, dass die Fotografie den Vietnamkrieg beendet hat, aber ich glaube, sie hat dazu beigetragen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.“

Sarkastisch blickt er in seiner Autobiografie (Page After Page, 1988) auf seine Kriegserfahrungen inklusive schwerer Kopfverletzungen zurück: „Ich habe mich hingesetzt und mein eigenes Blut und Hirn aus den Zwischenräumen der Leicas gekratzt, obwohl sie nie wieder richtig sauber aussehen sollten.“ Mehrfach wurde er schwer verwundet, entging nur knapp dem Tod, und doch er kehrte immer wieder ins Kriegsgeschehen zurück.

Auch nach Kriegsende ließ ihn Vietnam nicht los. So reiste er Anfang der 1980er-Jahre wieder in das Land, um mit einer Gedenkstätte an die Fotografenkollegen, die im Krieg gestorben waren, zu erinnern. Viele seiner engsten Freunde wie Sean Flynn oder Dana Stone hatte er verloren. 1997 veröffentlichte Page zusammen mit dem Kollegen und Pulitzer-Preisträger Horst Faas den Bildband Requiem, der Aufnahmen von 135 Fotografen zeigt, die zwischen 1945 und 1975 in Indochina ihr Leben verloren hatten. Für das Buch wurden Page und Faas 1997 mit der Robert Capa Gold Medal ausgezeichnet. Page hat zahlreiche Dokumentationen und zwei Filme gedreht und ist Autor von zehn Büchern; sein Archiv umfasst rund 750 000 Aufnahmen. Er verbrachte 2009 fünf Monate als fotografischer Friedensbotschafter der UNO in Afghanistan und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In den vergangenen Jahren unterrichtete Page an der australischen Griffith University und gab Fotoseminare in Südostasien.
Ulrich Rüter
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