Die Schönheit des Augenblicks
Die Schönheit des Augenblicks
Rui Miguel Cunha
16. Juli 2019
LFI: Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Rui Miguel Cunha: Nachdem ich mein erstes Musikalbum bearbeitet hatte, brauchte ich für das Datenblatt ein Bild des Covers und ein Porträt von mir. Der Fotograf hatte eine Minox GL und ich war erstaunt, dass er mit einer so kleinen Kamera solch einen wichtigen Job erledigt. Ich fand es so schön, dass ich selbst nach einem Exemplar Ausschau hielt. Das war um die Jahrtausendwende. In einem Gebrauchtwarenladen sah ich eine Leica M2 und war sofort begeistert. Ich habe mir an diesem Tag zwar keine gekauft, hatte aber seither die Idee im Kopf, dass ich diese Kamera eines Tages erwerben werden würde. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Später begann ich, Menschen auf der Straße zu fotografieren. Ich ging dabei immer auf Abstand, aber erkannte durch die Reaktionen, dass ich näher heran musste. Gleichzeitig begann ich, mich für Fotografen wie Eduardo Gageiro, Sebastião Salgado oder Steve McCurry zu begeistern. Ihre fotografischen Werke waren so intim und persönlich! Das veranlasste mich, meine Lesart von der Straße, den Menschen und der Welt zu überdenken, während ich die Menschen in meiner Heimatstadt fotografierte.
LFI: Sie haben eine sehr starke und lebendige Bildsprache, die sich immer auf die Menschen und ihre Emotionen konzentriert. Was ist das Wichtigste, was Sie mit Ihrer Fotografie erzählen möchten?
Zuerst einmal respektiere ich die Menschen sehr, die ich fotografiere. Ich liebe die Fotografie, aber genauso sehr liebe ich auch die unterschiedlichen Kulturen, Menschen und Lebensweisen. Ich mag es besonders, wenn sich viele Dinge gleichzeitig auf den Bildern abspielen. Manchmal möchte ich Abstraktionen mit vielen Charakteren in einem einzigen Bild erzeugen. Das alles gibt meiner Arbeit einen Sinn und soll gleichzeitig verdeutlichen, wie ich die Welt sehe: dynamisch und einzigartig. Überall spielt sich Leben ab – wir müssen nur zusehen, lesen, Respekt haben und unseren Emotionen freien Lauf lassen.
LFI: Was setzen Sie besonders gern in Szene, welche Stimmungen möchten Sie erzeugen?
Mich inspiriert der Alltag. Auf der Straße sind unsere Emotionen in ständiger Veränderung. Ich mag es, das Leben in Bewegung zu sehen, und ich liebe es, offene Erzählungen mit Raum für Interpretationen zu erschaffen. Ich mag Spiegel als Bildelemente, die dabei behilflich sein können, ein Universum mehrerer Geschichten in einem Foto entstehen zu lassen. Zudem liebe ich das Meer und wie es Ekstase in den Menschen auslösen kann. Und nicht zuletzt liebe ich Kinder, weil ich glaube, dass die Kindheit der Moment des Lebens ist, in dem wir am reinsten und uns selbst am treuesten sind.
LFI: Wie haben Sie Ihre eigene Bildsprache gefunden?
Es gab einige Inspirationen: Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, Sebastião Salgado, Martine Franck, James Nachtwey und andere. Sie dienten mir als Wissensgrundlage für das Erlernen der fotografischen Praxis. Die direkte Motivation zu fotografieren kann aber immer nur aus uns selbst kommen, als Ausdruck der eigenen Gefühle.
LFI: Haben Sie eine Lieblingskamera?
Früher hätte ich gesagt, dass ich mit fast jeder Kamera der Welt fotografieren kann – aber mit der Leica M fühle ich mich mittlerweile am wohlsten. In analogen Tagen galt meine Liebe der M2. Sie ist eine authentische Schönheit und bereit für jede Art von Arbeit in jeder denkbaren Umgebung.
Im digitalen Zeitalter ist mein Favorit die M10 mit einem 35-mm-Objektiv. Für mich ist die M10 ein Déjà-vu: Wenn ich mit der M10 fotografiere, scheint es, als wäre die gute alte Zeit noch nicht vorbei. Sie befördert mich in einen komplett anderen Geisteszustand. Sie macht mich nicht automatisch zu einem besseren Fotografen, aber wenn ich mich glücklich, inspiriert und entspannt fühle, dann entstehen auch bessere Bilder. Das alles schafft nur die Leica M.
(dar)
Alle Bilder auf dieser Seite: © Rui Miguel Cunha
Equipment: Leica M10 mit Summicron-M 1:2/35 Asph.
Rui Miguel Cunha+-
Rui Miguel Cunha wurde am 1. Juni 1976 in Lissabon geboren. Inspiriert vom Alltag verknüpft der Fotograf in seinem Werk dokumentarische Erzählweisen mit Elementen purer Street Photography. Mehr