PhEST: Wo Fotografie und Träume verschmelzen

23. September 2024

Wie ein kleines Küstenstädtchen zum Hotspot für internationale Fotografie wurde.
Im Süden Italiens entfaltet sich jeden Sommer ein visuelles Spektakel: Das Festival PhEST verwandelt Monopoli in eine Bühne für zeitgenössische Fotografie. Die Kuratorin Arianna Rinaldo erzählt, wie aus einer Idee ein international beachtetes Festival wurde und warum Apulien der perfekte Ort dafür ist.

LFI: Erzählen Sie uns etwas über sich selbst.
Arianna Rinaldo: Ich kam eher zufällig zur Fotografie, fasziniert von der Kraft der visuellen Sprache. Mein Weg führte mich über ein Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York, wo ich auf ihr Fotoarchiv stieß, zu Magnum Photos. Seitdem bin ich der Fotografie treu geblieben. Der Wechsel von der Agenturwelt zur redaktionellen Seite der Fotografie war entscheidend, um meinen Blick auf die Dokumentarfotografie zu erweitern. Storytelling ist meine Leidenschaft: Ich möchte die Geschichte hinter der Arbeit verstehen, das Was und das Warum. Die kuratorische Arbeit war dann der nächste logische Schritt: Werke einem breiteren Publikum zu präsentieren, Perspektiven herauszufordern und neue Sichtweisen auf die Welt zu bieten. Zunächst mit Cortona on the Move und dann mit PhEST suche ich weiterhin nach alternativen Geschichten und originellen Erzählweisen.

Können Sie uns einige Informationen über Ihr Festival geben?
PhEST wurde 2016 in Monopoli gegründet, einer schönen Küstenstadt im Süden Italiens. Gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter Giovanni Troilo haben wir ein großartiges Team aufgebaut, das mehr als 30 Ausstellungen für das Publikum organisiert, das sich am Ende des Sommers in der Stadt versammelt. Wir bieten Ausstellungen im Freien und in Innenräumen an und haben Pionierarbeit geleistet, indem wir Orte öffneten, die jahrelang geschlossen und verlassen waren.

Der Palazzo Palmieri ist zu unserem Hauptquartier und wichtigsten Standort geworden, aber jedes Jahr entdecken wir weitere Juwelen in der Stadt, wie Casa Santa und das Kloster San Leonardo, die in diesem Jahr zu einer glücklichen neuen Präsenz wurden. In Anbetracht dessen, dass unsere Besucherzahlen seit dem pandemiebedingten Tiefpunkt stetig gestiegen sind, erwarten wir über die zwei Monate des Festivals hinweg mehr als 30 000 Besucher. PhEST wird bis zum 3. November geöffnet sein.

Was war die ursprüngliche Motivation für die Gründung des Festivals?
Apulien hat in den letzten zehn Jahren einen regelrechten Tourismusboom erlebt, begleitet von einem wachsenden Hunger nach kulturellen Angeboten. Giovanni Troilo, unser künstlerischer Leiter, stammt aus der Region und träumte schon lange von einem zeitgenössischen Fotofestival hier. Als sich die Gelegenheit bot, schlugen wir mit PhEST zu. Monopoli erwies sich als perfekte Bühne: eine lebendige Küstenstadt mit einer charmanten, autofreien Altstadt, verlassenen Palästen, die nur darauf warteten, wiederbelebt zu werden, und einem potenziellen Publikum, das sowohl aus Touristen als auch aus einer neugierigen lokalen Gemeinschaft bestand.

Von Anfang an war unser Ziel, zu einer internationalen Veranstaltung heranzuwachsen, die Fotografen und Fachleute aus der ganzen Welt anzieht. Wir wollten eine hochwertige kuratorische Auswahl bieten, gepaart mit einer bodenständigen Organisation, originellen Produktionen und Installationen. Dabei geht es uns auch darum, die verborgenen Schätze der Stadt zu enthüllen und die Gastfreundschaft Süditaliens zu präsentieren.

Was zeichnet das Festival und das Programm aus?
Das Herzstück von PhEST ist seine starke Verbindung zur Region. Jedes Jahr organisieren wir zu Beginn des Sommers eine Künstlerresidenz, um Werke mit lokalem Bezug zu produzieren. Im Laufe der Jahre haben wir beeindruckende Projekte realisiert: Piero Martinello porträtierte die Fischer, Alejandro Chaskielberg dokumentierte die tausendjährigen Olivenbäume mit Nachtmalerei, Edoardo Delille erkundete die neuralgischen Häfen der Provinz, und Jan von Holleben arbeitete in diesem Jahr mit Schulkindern aus Monopoli an ihren Träumen.

Jede Ausgabe dreht sich um ein zentrales Thema, um das herum wir ein vielfältiges Programm aus Ausstellungen, Vorträgen und Führungen entwickeln. Zeitgenössische Kunst ist immer Teil des Programms, wobei die Fotografie im Mittelpunkt steht. Musik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, da sie ein verbindendes Element ist und ein breiteres Publikum anzieht. Die Eröffnungstage sind besonders intensiv: Wir bieten Portfolio-Reviews, Begegnungen mit Künstlern und Workshops an. Es ist eine fantastische Gelegenheit für etablierte und aufstrebende Künstler, sich mit anderen Profis und einem begeisterten Publikum auszutauschen.

Wie hat sich das Festival im Laufe der Jahre verändert?
Seit seiner Gründung 2016 ist das Festival stark gewachsen. Von der ersten Ausgabe mit neun Ausstellungen sind wir in den letzten zwei Jahren auf über 30 Schauen an 15 verschiedenen Standorten angewachsen. Das Festival durchdringt buchstäblich die Stadt mit seiner charakteristischen gelben Farbe und füllt unerwartete Räume mit Fotografie.

Unser junges Team hat sich zu einer Gruppe von Profis entwickelt, zu der auch hauseigene Handwerker gehören. Sie sind maßgeblich daran beteiligt, Installationen zu schaffen, die den historischen Charakter unserer Ausstellungsorte respektieren und gleichzeitig innovative Präsentationsformen ermöglichen. Wir haben unsere kreative Bandbreite erweitert, mit einem starken Fokus auf Kommunikation und dem ständigen Bestreben, ein Gesamtensemble zu schaffen, das ein breites Publikum anspricht. Unser Ziel ist es, Werke zu präsentieren, die faszinieren, provozieren, zum Nachdenken anregen, bewegen und vor allem einen Unterschied machen können.

Können Sie ein Highlight der diesjährigen Ausgabe nennen?
Das diesjährige Thema heißt „Der Traum“. Die Kernausstellung von Man Ray setzt den Ton für den kreativen Prozess, der unsere kuratorische Auswahl leitete. Wir bieten eine breite Palette von Stilen und Techniken: von Jan von Hollebens handgefertigten Tableaus mit Kindern als Protagonisten bis hin zu vollständig digital durch KI erstellten Werken von Polina Kostanda und dem Duo Serifa. Paolo Venturas physisch-theatralische Bilder stehen neben Gauri Gills Symphonie aus Fotografie und traditionellen Warli-Zeichnungen.

Ein besonderes Highlight ist der notwendige Fokus auf Palästina. Wir haben den gesamten Standort Casa Santa (ein ehemaliges Waisenhaus) der komplexen Situation im Nahen Osten gewidmet. Hier zeigen wir historische Fakten anhand von Archivbildern aus dem Buch Against Erasure (veröffentlicht von Haymarket Books) neben zeitgenössischen Blicken auf das alltägliche Leben und den Widerstand in Palästina, mit Werken von Antonio Faccilongo, Maen Hammad und Adam Rouhana.

Welche Pläne und Visionen haben Sie für die Zukunft des Festivals?
Wir waren von Anfang an sehr ambitioniert in unserem Bestreben, in kurzer Zeit ein so kraftvolles Festival zu schaffen. Mit unserer starken Verbindung zur Region und dem Blick in die Welt wollen wir weiterhin unser Publikum erweitern und wachsen. Wir möchten PhEST zu einem Referenzpunkt in der Branche machen, der vom Mittelmeer aus in alle Richtungen blickt. Wir möchten eine Plattform sein, die nicht nur die besten zeitgenössischen Fotografen präsentiert, sondern auch neue Talente fördert und den Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und Perspektiven anregt.
Interview: Carol Koerting

Ariana Rinaldo+-

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© Paolo Verzone

Die unabhängige Kuratorin, Fotografieberaterin und freie Bildredakteurin Arianna Rinaldo arbeitet auf vielfältige Weise mit Fotografie. Von 2012 bis 2021 war sie künstlerische Leiterin vom Festival Cortona on the Move. Seit 2016 ist sie Fotografiekuratorin bei PhEST. Rinaldos Beziehung zur Fotografie begann 1998 als Archivdirektorin bei Magnum Photos in New York und später als Bildredakteurin für das Magazin Colors in Italien. Von 2004 bis 2011 arbeitete sie in Mailand als freie Kuratorin und Fotoberaterin für verschiedene Publikationen, darunter vier Jahre bei D, der Wochenendbeilage von La Repubblica (2008–2011). In der Zwischenzeit war sie acht Jahre lang redaktionelle Leiterin von OjodePez, dem zweisprachigen Dokumentarfotomagazin, das von La Fábrica, Madrid, herausgegeben wird. Seit 2012 lebt Rinaldo in Barcelona und entwickelt weiterhin Fotografieprojekte auf internationaler Ebene. Neben ihrer kuratorischen Tätigkeit leitet sie Workshops und Meisterklassen sowie private Mentoring-Sitzungen. Sie ist in den Auswahlgremien verschiedener Institutionen, darunter der Leica Oskar Barnack Award, das „Ones to Watch“ des British Journal of Photography und der Deutsche Börse Photography Foundation Prize.

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