Schöne Fremde
Schöne Fremde
Peter Zelewski
7. Juli 2015
Die Fotos aus Ihrer Serie Beautiful Strangers gehören im Grunde zum Genre Street Photography – Sie bezeichnen sie als Street Portrait. Trotzdem wirken sie ein wenig wie Studiofotografie und sind durch eine sehr minimalistische Komposition geprägt.
Ich habe in den letzten 15 Jahren als Grafikdesigner gearbeitet. Da Bilder in meinem Beruf eine große Rolle spielen, habe ich als Artdirector viel Zeit im Studio mit Fotografen und Models verbracht. Ich habe angefangen, selbst zu fotografieren, um besser zu verstehen, was eigentlich im Studio passiert, und um besser mit den Fotografen kommunizieren zu können. Da ich mir das Fotografieren selbst beigebracht habe, war es fast zwangsläufig, dass ich die Arbeitsweise im Studio aufgegriffen habe und in meine Porträtfotografie einfließen ließ. Viele meiner früheren Arbeiten folgten dabei noch der Zwei-Drittel-Regel. Aus diesem Kompositionsprinzip ergaben sich für mein Empfinden aber eher langweilige Porträts, völlig unabhängig davon, wer gerade vor der Kamera stand. Ich fing an, zusammenlaufende Linien, Wandstrukturen, Straßenverläufe und -markierungen zu nutzen, um die Aufmerksamkeit ganz auf die Person und ihr Gesicht zu lenken. Diese Art der Komposition nennt man Zentralperspektive und sie wird häufig im Grafikdesign verwendet. Ich finde, dass diese Art der Komposition meinen Fotos eine gewisse Intensität und Kraft verleiht und auch für eine bestimmte Konsistenz in meiner Arbeit sorgt, die mir sehr wichtig ist.
Sie arbeiten nicht mit Models, sondern mit Menschen, die Sie auf der Straße kennenleren. Was ist für Sie dabei das Besondere?
Mit einem professionellen Model zu arbeiten, ist für mich weniger spannend und überraschend. Ich liebe die Spontanität von Street Portraits und die herausfordernden Umstände, unter denen man auf der Straße arbeitet. Ich nehme meine Fotos spontan auf, sie zeigen Menschen, die ich erst am selben Tag getroffen habe. Was mich dabei immer wieder erstaunt, ist ihre Bereitwilligkeit. Sie stimmen meist ohne zu zögern zu und nehmen auch den zehn oder 15 Minuten langen Weg zum vorher ausgewählten Standort in Kauf. Das wichtigste Auswahlkriterium für meine Models, ist etwas, das sie für mich einzigartig macht. Sie müssen etwas haben, das sie aus der Masse hervorstechen lässt. Manchmal laufe ich sechs oder sieben Stunden durch die Stadt, bis ich die richtige Person gefunden habe. Beautiful Strangers zeigt, dass echte Schönheit nicht in der Perfektion eines professionellen Models liegt, sondern oft durch bestimmte Eigenheiten, manchmal sogar Eigentümlichkeiten entsteht.
Sie arbeiten ausschließlich mit der Leica M-E und dem 50iger-Summilux. Was macht diese Kombination zum idealen Werkzeug für Sie?
Die Verbindung zu meinem Gegenüber ist wichtig. Eine große DSLR schreit geradezu: „Achtung, Fotograf!“. Das macht es nicht unbedingt leicht, einen ungezwungenen Zugang zu den Menschen zu finden. Ich habe mich deshalb nach anderen Kameras umgesehen und mir beispielsweise die neuen spiegellosen angeschaut. Aber ihre Bildqualität hat mich nicht wirklich überzeugt und auch nicht ihre Ergonomie. Da ich schon lange ein Fan der Fotografin Sarah Lee bin und aufmerksam verfolge, was sie tut, bin ich über einen Artikel gestolpert, den sie im Guardian veröffentlicht hat. Dort spricht sie über die M-E. Weniger aus technischer Sicht, sondern darüber, wie viel Spaß das Fotografieren mit dieser Kamera macht, und darüber, wie die M-E sie neu an die Fotografie herangeführt hat. Das hat mich gefesselt, denn alles, was sie sagte, ergab Sinn. Von der ersten Sekunde an, in der ich die M-E in der Hand hielt, wusste ich: Die gibst du nicht wieder her. Die hatte alle Knöpfe an der richtigen Stelle. Und so wenige! Sie fühlte sich einfach perfekt an.
Zwar hatte ich zunächst Schwierigkeiten mit dem Messsucher – aber ich schätzte die Art, wie die Kamera mich zwang, langsamer, bewusster zu fotografieren. Ich habe mehr Zeit mit meinen Porträts und Kompositionen verbracht, als je zuvor. Ich bin regelrecht eine Verbindung mit der Kamera eingegangen. Für mich war es sehr aufregend zu bemerken, dass ich noch einmal ganz neu mit der Fotografie anfing. Hinzukam, dass die Dateien, die die Kamera selbst erzeugte, umwerfend, ja fast magisch waren. Die Art, wie die M-E und das Summilux mit Farben umgehen, ist nahezu perfekt. Ich bearbeite die Bilder in der Post Production kaum noch – manchmal die Helligkeit, aber in der Regel gar nicht. Es mag eigenartig klingen, aber es ist fast so, als ob die Kamera wüsste, was ich sehe. Und schließlich: Ich habe nicht erwartet, dass die Kamera so eine positive Ausstrahlung auf die Leute hat, die ich fotografiere. Sie wirkt wie ein Barrierenbrecher.
Für mich ist das 50iger die beste Brennweite für Street Portrait, weil sie mir erlaubt, nah an die Menschen heranzugehen und mit ihnen zu interagieren. Weil ich oft bei schwachem Licht und niemals mit Kunstlicht arbeite, ist das Summilux mit seiner 1.4-Offenblende ideal für mich. Sie erlaubt mir, den Hintergrund verschwimmen zu lassen und den Fokus gezielt auf die Augen zu setzen. Wie man das bei Porträts eben so macht. Ich benutze die M-E und das Summilux nun schon über ein Jahr: Diese Kombination hat mir einen völlig neuen Zugang zur Fotografie eröffnet.
Peter Zelewski+-
Der 1964 in Detroit geborene Grafikdesigner und Fotograf lebt und arbeitet in London. Publikationen u. a. in Professional Photographer Magazine, Photography Monthly Magazine, La Repubblica, The Guardian; Ausstellung The People of Soho in der Freud Gallery London (Mai 2013). Mehr