Besingi-Mauer: Eines Tages …

Peter Schön

11. Februar 2015

„Am 22. Juni 2012 bestieg ich den Dzhangi-Tau. Als ich auf dem Gipfel saß und Robert beim Aufstieg zusah, streifte mein Blick über die Spitze des Schchara, wo ich noch zwei Jahre zuvor mit Boris war.“
„Juni 2010, Boris Avdeev und ich standen auf der Spitze des Schchara, der mit 5193 Metern höchste Berg Georgiens. Der Schchara ist gleichzeitig der höchste Punkt der Besingi-Mauer, ein zwölf Kilometer langes, für Alpinisten bedeutsames Bergmassiv, das oberhalb der 4500-Meter-Grenze entlang der georgisch-russischen Grenze verläuft. Der Schchara markiert das östliche Ende der Mauer und ist, je nach Route, der erste oder letzte Gipfel bei einer Überquerung der Besingi-Mauer. Die Überquerung ist mit ihren zahlreichen 4500- und 5000-Meter-Gipfeln eine der letzten großen Herausforderungen für Alpinisten im Kaukasus.

Ein paar Wochen später schrieb mir Boris ‚Eines Tages müssen wir die Besingi-Mauer überqueren.‘ Aber dieser Tag wird niemals kommen. Boris kam im April 2012 bei einem Lawinenunglück ums Leben. Ein paar Wochen später wollten wir eigentlich den Dzhangi-Tau, einen selten bestiegenen Gipfel in der Mitte der Besingi-Mauer, erklettern.

Für zwei Monate fiel ich ein tiefes emotionales Loch, voller Selbstzweifel – ich zweifelte selbst am Sinn meiner Bergtouren. Trotz meiner fehlenden Motivation und Selbstdisziplin reiste ich wieder nach Georgien.

Am 22. Juni 2012 bestieg ich den Dzhangi-Tau, zusammen mit Robert Koschitzi. Als ich auf dem Gipfel saß und Robert beim Aufstieg zusah, streifte mein Blick über die Spitze des Schchara, wo ich noch zwei Jahre zuvor mit Boris war. Ich drehte mich um und blickte über die noch verbleibenden Gipfel der Besingi-Mauer im Westen. Ich fragte mich, ob ich jemals die Besingi-Mauer überqueren werde. Vielleicht eines Tages …“

Peter Schön+-

Peter Schön promoviert auf dem Gebiet der Schnee- und Lawinenforschung. Als Lawinentechniker, Bergführer und Leiter von Skiexkursionen arbeitet er immer wieder auch in Norwegen. Seine Liebe für die Berge weckte auch sein Interesse an der Fotografie. Überwiegend in Schwarzweiß arbeitend, widmet er sich als Fotograf neben der Bergen des Kaukasus auch persönlichen Langzeitprojekten, wie Strecken über Binnenflüchtlinge in Armenien und Georgien. Mehr

 

Besingi-Mauer: Eines Tages …

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