Das Café in Raqqa
Das Café in Raqqa
Nicole Tung
31. Juli 2020
An dem Tag, an dem ich dieses Foto aufgenommen habe, zog ein Sandsturm auf, und es waren nur wenige Menschen auf den Straßen. In Raqqa wurden während der Offensive zur Vertreibung des IS über 80 Prozent der Infrastruktur beschädigt oder zerstört. Das Ausmaß der Zerstörung war erschütternd und die Zahl der Todesopfer sehr hoch. Aber dennoch hatte dieses Café auf dem Platz, mitten in der Ruinenstadt, wiedereröffnet.
Nach allem, was die Zivilbevölkerung unter dem IS ertragen musste, waren viele traumatisiert. Trotzdem gab es noch Wohnraum und so tröpfelten die Menschen langsam aber sicher wieder in die Stadt, aus der sie zuvor geflohen waren. Sie mussten ihr Leben neu sortieren, ihre Häuser wiederaufbauen, ihre Geschäfte wieder öffnen und versuchen, mit den Erinnerungen an die Toten und den Schrecken, die sie erlebt haben, fertig zu werden.
Ich war 2018 mehrmals in Raqqa, um mich mit den Nachwirkungen des Bürgerkriegs auseinanderzusetzen. Der wichtigste Grund, warum dieses Bild für mich so bedeutsam ist, liegt in den Farben und dem, was sie darstellen: der Kontrast zwischen der leuchtend rosafarbenen Farbe auf den Ziegelsteinen, den orangefarbenen und grünen Stühlen, dem grauen Schutt und den braungelben Farbtönen, die durch den Staub hervorgerufen werden.
Als der Wind auffrischte, war da dieses Gefühl von Verlust, Melancholie und Hoffnung. Direkt hinter der Stelle, an der dieses Foto aufgenommen wurde, waren noch Kinositze. Die Menschen wurden dort gezwungen, auf eine Leinwand zu schauen, auf der die vom IS verhängten Strafen gezeigt wurden. In der Nähe, am Kreisverkehr des Platzes, wurden Menschen hingerichtet. Und doch gab es dieses Café, um das Leben wieder anzuregen.“
Nicole Tung+-
Nicole Tung, geboren in Hongkong, ist freiberufliche Fotojournalistin. Sie schloss 2009 ihr Studium an der New York University ab und schreibt Beiträge für internationale Publikationen und NGOs, vor allem über den Nahen Osten sowie aus Afrika und Asien. Sie berichtete über die Konflikte in Libyen, Syrien und Irak. Dabei konzentrierte sie sich auf die Not der Zivilbevölkerung und die Kriegsfolgen. In der Türkei untersuchte Tung die zunehmende Gewalt gegen Frauen, in ihrer Heimatstadt Hong Kong dokumentierte sie die Protestbewegung gegen die Regierung. Derzeit lebt sie in Istanbul. Mehr