Nachruf: Steve Schapiro

21. Januar 2022

Mit 87 Jahren ist der legendäre Fotograf am 15. Januar in Chicago verstorben.
Er hat ein Stück amerikanische Zeitgeschichte festgehalten: als engagierter Dokumentarist der Bürgerrechtsbewegung und gesellschaftlicher Umbrüche. Er fotografierte auf Demonstrationen und kam den Protagonisten seiner Zeit sehr nahe. So entstanden ikonische Bilder von Martin Luther King oder Robert F. Kennedy, den er ebenfalls in den 1960er-Jahren fotografisch im Wahlkampf begleitete. Mit seinen Bildern verschaffte er sozial und gesellschaftlich Benachteiligten die nötige Aufmerksamkeit, ob in Reportagen über Drogenabhängige in East Harlem oder über Wanderarbeiter in Arkansas. Seine Bildserien sorgten für Aufsehen und Diskussionen wie die Reportage durch die Südstaaten der USA, die er Anfang der 1960er-Jahre mit dem Schriftsteller James Baldwin unternahm.

„Was Steves Bilder von denen seiner Kollegen unterscheidet, ist, dass es ihm bei jedem Projekt gelang, einprägsame und unauslöschliche Bilder zu schaffen, was im Fotojournalismus nicht selbstverständlich ist,“ so der langjährige Galerist von Schapiros Werk, David Fahey, in seinem Nachruf: „Seine Bilder sind objektiv, aber auch suggestiv. Er ist ein erfahrener Geschichtenerzähler mit einem einzigen Bild wie auch mit einem Fotoessay – er macht Bilder, die informativ, emotional und wahrhaftig sind.“

Schapiro wurde 1934 in New York City geboren und entdeckt schon als Kind für sich die Fotografie. Er war begeistert von Henri Cartier-Bressons heute längst sprichwörtlich gewordenen „entscheidenden Augenblick“. Mit einem kleinen Umweg über die Literatur fand er mit einer Tätigkeit bei dem Bildjournalisten W. Eugene Smith dann selbst zur Fotografie zurück und begann ab 1961 als freier Fotograf für die wichtigsten Magazine der Zeit zu arbeiten, darunter Life, Look, Vanity Fair, Paris Match, Newsweek, People, Time oder Rolling Stone. Seine humanistisch geprägte Fotografie widmete sich dabei nicht nur den Prominenten, sondern vor allem auch unbekannten Zeitgenossen, die er in berührenden Porträts festhielt.
Mit Beginn der 1970er-Jahre erweiterte er sein Interesse für das Medium Film und seine Protagonisten. So fotografierte er neben Standfotos bei Filmen wie „Der Pate“ oder „Taxi Driver“ vor allem auch legendäre Porträts an den Filmsets oder in eher privaterem Rahmen. Neben Regisseuren und Schauspielern entstanden in den Jahrzehnten seiner Karriere auch viele Aufnahmen von Künstlern und Musikern.

„Ich hatte immer Glück mit den Aufträgen, um die ich gebeten habe oder die ich zugeteilt bekam. Ich reiste mit Bobby Kennedy und machte Fotos für seine Präsidentschaftskampagne. Ich fotografierte den Marsch von Selma mit Martin Luther King, Andy Warhol in der Factory und Muhammad Ali, als er noch Cassius Clay hieß. Ich habe alles fotografiert, vom Präsidenten bis zum Pudel,“ erinnerte sich der Fotograf vor ein paar Jahren in einem Interview mit Matthias Harder. Schapiro hat im Laufe seiner Karriere mit den unterschiedlichsten Kameras gearbeitet, auch mit Leica Kameras, doch er bekannte: „Das Geheimnis von guter Fotografie liegt nicht in der Ausrüstung, sondern in der Fantasie und den besonderen Eigenschaften des jeweiligen Fotografen. Jeder sieht auf seine Weise, und je einzigartiger die Sichtweise ist, desto besser sind die Fotografien.“

Bis ins hohe Alter konnte der Fotograf seine Arbeit fortsetzen, so dokumentierte mit 85 Jahren noch die „Black Lives Matter“-Proteste. Die Vielfalt und die Unverwechselbarkeit seiner Aufnahmen haben Schapiro einen festen Platz in der Geschichte des amerikanischen Bildjournalismus gegeben. Längst wurde sein Werk auch in vielen Ausstellungen und Katalogen gewürdigt und der Fotograf mit Auszeichnungen geehrt.

Steve Schapiro ist am Samstag, den 15. Januar 2022 seinem Krebsleiden erlegen und friedlich in seinem Haus in Chicago im Kreis seiner Familie verstorben. (Ulrich Rüter)
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