Awaiting Transformation
Awaiting Transformation
Kerem Uzel
6. August 2021
LFI: Wie sind Sie dazu gekommen, Ihr Leben der Fotografie zu widmen?
Kerem Uzel: Mein Vater brachte eine Asahi Pentax von einem seiner Freunde mit. Sie funktionierte nicht richtig, aber ich mochte sie sehr und bin in meiner Freizeit damit unterwegs gewesen. Ich habe mein ganzes Geld für Filme und Entwicklung gespart! Dann habe ich gemerkt, dass ich den Geschichten der Leute gern zuhöre. Wenn ich mit meiner Kamera unterwegs war, hatte ich die Gelegenheit, mich als junger Mensch mit den Leuten zu unterhalten. Während meiner Schulzeit arbeitete ich für eine kleine Zeitung in meiner Heimatstadt, und da beschloss ich, mein ganzes Leben der Fotografie zu widmen. Meine Motivation war es, mit Bildern anderen Menschen diese Geschichten zu erzählen. Damals, in den späten Achtzigern, hatte ich keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Es gab keine Quellen, die ich mir ansehen oder von denen ich mich beeinflussen lassen konnte. Aber ich war sehr neugierig auf das Leben der anderen. In der Zeit erwartete jedoch jeder, dass man Arzt, Anwalt oder Ingenieur wird, und meine Familie erlaubte mir auch nicht, Fotografie oder Journalismus zu studieren. Nachdem ich meinen Abschluss als Ingenieur an der Universität Istanbul gemacht hatte, zog ich in die USA, um eine formale Ausbildung in Fotografie zu erhalten. Dann haben sie mich sehr unterstützt.
Haben Sie eine Verbindung zu anderen Kunstformen, wie z. B. der Malerei?
Während meiner Sekundar- und Highschoolzeit habe ich mich sehr für die Malerei interessiert. Ich hatte das Glück, eine sehr gute Kunstlehrerin zu haben, und sie blieb während meiner gesamten Schulzeit meine Lehrerin. Sie wählte ein paar von uns aus, und wir arbeiteten mit verschiedenen Techniken außerhalb des regulären Kunstunterrichts. Sie ermutigte uns, unsere Arbeiten zu Wettbewerben zu schicken. In diesen Jahren habe ich einige Preise in meiner Altersklasse gewonnen. Aber nachdem ich mich der Fotografie zugewandt hatte, trat die Malerei allmählich in den Hintergrund.
Wer, würden Sie sagen, hat Sie am meisten beeinflusst?
Ich begann, mir die Arbeiten anderer Fotografen anzusehen, als ich Mitte, Ende zwanzig war. Es gab Zeiten, da ging ich in Bibliotheken, um mir Bilder in Büchern und Enzyklopädien anzusehen. Richtige Fotobücher gab es nicht. Nachdem ich die Arbeiten von Henri Cartier-Bresson gesehen und sein Buch Der entscheidende Augenblick gelesen hatte, begann für mich eine neue Phase, und ich fing an, meine Herangehensweise zu hinterfragen. Insgesamt ist Robert Frank der Fotograf, der mich am meisten beeinflusst hat. Es gibt so viele gute Fotografen, die ein großes visuelles Erbe hinterlassen haben. Deshalb ist es auch meine größte Motivation und Pflicht, Geschichten über meine Zeit zu erzählen.
Beschreiben Sie bitte Ihren visuellen Zugang zu den Themen.
Ich suche nach wirklich kleinen Momenten, denn ich möchte dem Betrachter nicht alles offenbaren. Das Wichtigste ist, die Menschen zu respektieren, und manchmal ist es nicht der richtige Moment, um ein Foto zu machen. Man unterhält sich, trinkt vielleicht einen Tee und geht wieder. Ich erzähle die Geschichten der Menschen. Für mich ist Respekt also wichtiger als das Bild. Wenn ich an einem Projekt arbeite, recherchiere ich über das Thema. Ich lese Bücher und Artikel und spreche vielleicht mit Leuten, die davon betroffen sind. Es geht also nicht darum, einfach loszugehen und nach Bildern zu suchen. Man muss sich vorher informieren, seine Hausaufgaben machen. Auf dem Weg dorthin gibt es dann viele Boni, neue Geschichten, die man hören kann, aber man sollte sich zuerst einen Plan machen. Sie können ihn unterwegs ändern, aber ich ziehe es vor, mit einem Plan zu beginnen. Sonst kann man sich verirren. Nehmen wir zum Beispiel den Istanbul-Kanal. Er ist 45 km lang, und eines Tages beschloss ich, einen Teil davon abzulaufen. Ich wusste ungefähr, wohin ich gehen musste. Dann schwimmt man mit dem Strom. So ist das Leben. (Interview: Stefan Müller)
Mehr über seine Istanbul-Kanal-Serie finden Sie in LFI 06/2021.
Kerem Uzel+-
Uzel wurde 1973 in Çorum an der anatolischen Schwarzmeerküste geboren. Er studierte zunächst Umwelttechnik an der Technischen Universität Istanbul, bevor er Fotojournalismus an der New England School of Photography in Massachusetts, USA, studierte. Seit 2000 ist er als Dokumentarfotograf tätig. Seine Reportagen sind unter anderem im Guardian, dem Stern, dem Spiegel, der Financial Times, Le Figaro, Le Monde, bei Amnesty International, in der Süddeutschen Zeitung und in Cicero erschienen. Er wird von der Agentur Laif vertreten und lebt in Berlin und Istanbul. Mehr