Das Wesentliche. Mark Shipard im Interview

5. April 2024

Ein Sicheinlassen auf die Essenz der Fotografie – auf eine Reduktion, auf klare Linien und Funktionen –, zeichnet eine Leica aus. Wir sprechen mit Mark Shipard über Leicas Designphilosophie.
„Gutes Design ist nicht nur eine Zeiterscheinung. Es überdauert Jahrzehnte“ – so ist es von Ludwig Leitz, dem Enkel des Firmengründers Ernst Leitz überliefert. Ab 1939 leitete der studierte Physiker und Mathematiker und ausgebildete Bildhauer die Entwicklungsabteilung. Er legte den Grundstein für das, was wir heute als Leica-Design verstehen.

Ergänzend zu unserer ausführlichen Auseinandersetzung mit Leicas Designphilosophie haben wir mit dem aktuellen Head of Design bei Leica, dem Australier Mark Shipard, über seine Hintergründe, seine Ideen und das legendäre M-Design gesprochen.

LFI: Mark Shipard, Sie sind seit 2015 Leiter der Designabteilung bei Leica, davor haben Sie unter anderem für Audi gearbeitet. Haben Sie eine Lieblingskamera von Leica?
Mark Shipard: Aus ganz persönlichen Beweggründen ist es die Leica III, die ich von meinem Großvater geerbt habe. Er hat die Kamera zusammen mit drei Objektiven in den 1930er-Jahren in Wien gekauft. Sie ist immer noch in perfektem Zustand!

Betrachtet man die Leica M3 aus dem Jahr 1954 und die aktuelle M11 – sowie alle Modelle, die dazwischen vorgestellt wurden – wird deutlich, dass sich die grundlegende Designsprache – buchstäblich die Reduktion auf das Wesentliche – über die Jahrzehnte nicht verändert hat. Was sagt das über Leica und seine Designphilosophie aus?
Unsere zentralen Designprinzipien wie Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit wurden mit dem Ur-Leica-Design begründet, das wiederum über mehrere Generationen von Entwicklungen, einschließlich der 70 Jahre der M-Kamera, zu einem klaren evolutionären Designansatz geführt hat.

Henri Cartier-Bresson – der Meister des entscheidenden Augenblicks – hat alle seine ikonischen Bilder mit einer M-Leica aufgenommen, die Queen wurde 1958 mit einer Leica M3 fotografiert, und James Bond verwendet in Goldfinger eine M3. Als Steve Jobs während der WWDC 2010 in San Francisco das iPhone 4 vorstellte, verwies er auf die Schönheit und Haltbarkeit einer alten M-Leica. Ist das nur ein Zufall, oder steckt mehr dahinter?
Mark Shipard: Ich glaube, das ist viel mehr als nur ein Zufall. Für große Fotografen wie Henri Cartier-Bresson war und ist die Leica M bis heute das absolute Werkzeug der Wahl. Leicas Design und Verarbeitungsqualität sind seit Jahrzehnten eine Quelle der Inspiration für viele andere Produktdesigner.

Wenn Sie heute über Innovationen bei einer Kamera nachdenken, z. B. den ausklappbaren Monitor bei der neuen Q oder den Wegfall der Grundplatte bei der M11, ist die strenge Designlinie dann eher ein Diktat oder eine Inspirationsquelle, um etwas Neues im Stil des Traditionellen zu realisieren?
Als Designer sind wir stets bestrebt, neue und verbesserte Möglichkeiten zu erschließen, mit denen unsere Kunden unsere Produkte optimal nutzen können. Das geeignete Gleichgewicht zwischen Leicas Designerbe und dem Blick in die Zukunft zu finden, ist eine wichtige Herausforderung, der sich das Designteam jeden Tag stellt.

Smartphone-Fotografie, Instagram und Co. verändern die Art und Weise, wie wir fotografieren und mit dem Medium interagieren, während wir gleichzeitig eine ungebrochene Hochphase der analogen Fotografie erleben. Wie passt das zusammen, und welche Rolle kann es in der Designphilosophie von Leica spielen?
Auf der einen Seite hat die Smartphone-Fotografie Millionen von Nutzern den Zugang zur Fotografie eröffnet. Auf der anderen Seite sind eine Leica M11 oder eine analoge Leica M für Fotografen konzipiert, die sich viel intensiver mit dem Fotografieren beschäftigen möchten. Mit unserem vielfältigen Produktportfolio verfolgen wir bei Leica beide Ansätze.

Was ist neben der für Leica charakteristischen Formensprache – den klar erkennbaren Anleihen beim Bauhaus – noch typisch und wichtig für eine M-Leica?
Es gibt einige wesentliche Designelemente, die sich von einer Generation zur nächsten wiederfinden. Die ovale Form, der dreiteilige Korpus sowie die allgemeine Materialität. Man muss sie einfach in die Hand nehmen und benutzen. Die Qualität und Verarbeitung der Materialien, das Gefühl, die Präzision, der Klang und die optische Klarheit der Bedienelemente machen die Leica M zu einem unvergleichlichen Produkterlebnis.
Tobias Habura-Stern

Mark Shippard+-

Mark Shipard Portrait photo

Mark Shipard leitet derzeit die Geschicke der Designabteilung bei Leica Camera.

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