Neujahrsfest eines Yakuza-Syndikats

Alberto Venzago

20. Mai 2021

„Sich unsichtbar zu machen und trotzdem ganz vorne dabei zu sein, das ist das Geheimnis.“
Drei Tage feiern rund tausend Mitglieder eines Syndikats im großen Saal eines Kurhotels in der Nähe von Tokio das Neujahrsfest. Auf dem Programm stehen Belehrungen, moralische Erbauung und in feierlicher Zeremonie werden auch neue Mitglieder in die „Familie“ aufgenommen. Am Ende, nach allen Zeremonien, steht das Festessen – nun sind erstmals auch Frauen erlaubt, allerdings nur als Essen und Getränke verteilende Geishas. „Das größte Kompliment für mich war, wenn ich nach den Zeremonien gefragt wurde, wo ich denn gewesen sei“, erinnert sich Venzago: „Sich unsichtbar zu machen und trotzdem ganz vorne dabei zu sein, das ist das Geheimnis.“

Aufnahmen, wie sie die damalige Öffentlichkeit noch nicht gesehen hatte: Alberto Venzago war mit seiner Leica in den 1980er Jahren der japanischen Yakuza so nah wie kein anderer Fotograf. Er dokumentierte ihre Versammlungen, ihre Feste, war auch in ihren Privaträumen, beim Baden oder beim Tätowierer mit der Kamera dabei. Mit dem Blick von heute ist es noch unvorstellbarer, wie es dem Fotografen damals möglich war, diese direkten Einblicke in die Strukturen einer „Familie“ zu erhalten. Dies gelang nur mit der ihm eigenen fröhlichen Unverfrorenheit, aber vor allem durch Vertrauen: „Es dauerte sechs Monate, bis ich den ersten Kontakt hatte und es sollten nochmals sechs Monate vergehen, bis ich mein erstes Foto schoss“, erinnert sich der Fotograf. Mit der nötigen Geduld entstand in insgesamt fünf Jahren eine der größten Reportagen des Fotografen. Als Ausländer hatte er einen gewissen Vorteil, den Blick von außen, ohne zu viel Wissen über die tatsächliche Macht und Bedeutung der mächtigen Syndikat-Strukturen. Die Yakuza, Japans Mafia, war damals mit mehr als 100.000 Mitgliedern die größte kriminelle Vereinigung der Welt, sie beherrschte den Drogen- und Waffenhandel, kontrollierte Prostitution und Glücksspiel, doch noch mehr Geld ließ sich im Immobiliengeschäft verdienen.

Am Anfang wurde der Gast sehr genau beobachtet, um herauszufinden, mit welchem Interesse der Schweizer Fotograf die Bandenstrukturen kennenlernen wollte. Je mehr er sich zurücknahm, umso größer wurde das Vertrauen und umso leichter konnte er schließlich den Alltag und die Rituale der Yakuza festhalten. „Mein Ziel war es, mich wie ein Schatten zu bewegen“, so Venzago. 

Die LFI 04/2021 präsentiert eine Werkauswahl von Alberto Venzago.
Ab 9. Juli zeigt das Museum für Gestaltung Zürich eine große Werkschau des Fotografen: Alberto Venzago. Taking Pictures – Making Pictures
Ulrich Rüter

Alberto Venzago+-

IMG_5016.Venzago by Peter Lindbergh
© Peter Lindbergh

...wurde am 10. Februar 1950 in Zürich geboren. Nach dem Studium der Heilpädagogik und der Klarinette entscheidet er sich mit Mitte Zwanzig als Autodidakt für die Fotografie. Rasch erfolgreich, pendelt es seither mühelos zwischen bildjournalistischer Dokumentation, freier künstlerischer Arbeit und Werbefotografie. Auch als Filmregisseur ist er tätig. Mehr

 

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