Buchtipp: Mein Stalinbau

Thorsten Klapsch

3. Dezember 2021

Eine Berliner Straße und die Geschichten ihrer Bewohner: Dieses Buch ist eine Hommage an den Bau, die Kunst, die Menschen und nicht zuletzt an die Stadt Berlin, die sich seit der Wende enorm verändert hat.
Sie ist die Prachtstraße im Osten von Berlin, der Ort ehemaliger feierlicher DDR-Jubiläums-Paraden und Erster Mai-Demonstrationen, eine etwa zwei Kilometer lange Verbindung zwischen den Bezirken Mitte und Friedrichshain und ein Aushängeschild des sozialistischen Klassizismus: Die Karl-Marx-Allee, ehemals Stalinallee, orientierte sich nicht nur dem Namen nach an den sozialistischen Plänen des Bruderlandes Sowjetunion, sondern wurde auch von dessen Baukunst geprägt. Im sogenannten Zuckerbäckerstil entworfene Häuser säumen die Straße wie eine Aufforderung zum Applaus an die Ingenieurskunst und die Stärke der DDR, als Arbeiterpaläste konzipiert zog dort in den 50er Jahren, so heißt es, vor allem die werktätige Bevölkerung ein. Wer beim Aufbau der Straße half, konnte in einer Lotterie sogar eine Wohnung gewinnen. Was man dort vorfand: viel Tageslicht, fließendes warmes Wasser, gute Heizungen.

Mit der Wiedervereinigung kehrte jedoch auch der Kapitalismus in die Straße ein. Die neue Devise hieß kaufen, spekulieren, verkaufen. An dieser Stelle beginnt die weniger gute Geschichte der Allee, und zugleich das Buch von Thorsten Klapsch. Er war selbst Bewohner eines „Stalinbaus“, hat die Aufteilung in Eigentumseinheiten miterlebt und dann begonnen, die Straße, die Häuser, die Wohnungen und ihre Mieter zu fotografieren. Seine Serie ist eine Hommage an den Bau, die Kunst, die Menschen und nicht zuletzt an die Stadt Berlin, die sich seit der Wende enorm verändert hat. Schon in vorangegangenen Projekten, einige von ihnen mit einer Leica fotografiert, widmete sich Klapsch Orten oder Gebäuden, die vom Verschwinden bedroht sind, etwa dem Palast der Republik, der nun dem modernen Stadtschloss weichen musste. So ist der Fotograf nicht nur ein Dokumentarist oder ein Zeuge seiner Zeit, sondern gleichsam ein Geschichtenerzähler, der auch die Historie in seinen Bildern aufleben lässt.

Alte Mietverträge, Urkunden, Fotos, Fliesen, Schrankwände, DDR-Interieur und Ost-Utensilien: Sein Blick in die Wohnungen der „Stalinbauten“ macht die Vergangenheit spürbar, ruft längst vergangene Erinnerungen hervor, ist klar, direkt, ungeschönt und auch von Sentimentalität geprägt. Bald, so ahnt man, ist hier nichts mehr wie früher; bald muss vielleicht auch das zusammen alt gewordene Paar auf der Couch oder die junge Frau in der Küche die Karl-Marx-Allee und das ehrenwerte Haus verlassen. Zusammen mit den Texten von Michaela Nowotnick schaut man in diesem Buch hinter die Zuckerbäckerfassade, lernt die Menschen, ihr Leben, ihren Zorn und ihre Hoffnungen kennen. Wie in einem guten Roman werden sie alle zu fesselnden Protagonisten, vereint unter einem Dach.

Thorsten Klapsch (Fotos), 
Michaela Nowotnick (Text):
Mein Stalinbau. Eine Berliner Straße und die Geschichten ihrer Bewohner.

berlin edition im be.bra Verlag
Katja Hübner
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Thorsten Klapsch

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Thorsten Klapsch
© Annette Weygand

Thorsten Klapsch ist Fotograf aus Leidenschaft und seit fast 30 Jahren. Er mag das Verbotene, das Verschlossene, die Welt hinter den Türen. Er hat den leerstehenden und nun abgerissenen Palast der Republik fotografiert, die deutschen Atomkraftwerke und das sich verändernde Berlin in Ost und West. Um seine freien Projekte realisieren zu können, arbeitet er für Magazine und Unternehmen. Mehr

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Thorsten Klapsch