Landrush
Landrush
Uwe H. Martin & Frauke Huber
20. Juli 2021
LFI: Worum geht es in Ihrem Langzeitprojekt, das Sie seit 15 Jahren gemeinsam verfolgen?
Uwe H. Martin: LandRush ist eine künstlerisch-dokumentarische Auseinandersetzung mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen globaler Landwirtschaft. Wir dokumentieren das Leben von Bauern und Landarbeiterinnen, Indigenen und Fischerinnen, sprechen mit Aktivisten, Politikern und Wissenschaftlerinnen. Wir zeigen die komplexen Zusammenhänge und Lieferketten, die nötig sind, um uns mit Nahrung zu versorgen, und wie wir durch Umweltzerstörung die Basis unserer Ernährung weiter erodieren.
Frauke Huber: Wir sehen Landwirtschaft als eines der größten Themen unserer Zeit, denn nichts, was wir Menschen kollektiv tun, hat größere Auswirkungen auf unsere Umwelt: Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Treiber von Klimawandel und Artensterben. In der Landwirtschaft sind mehr Leute als in jeder anderen Industrie beschäftigt, und mehr als ein Drittel der Landfläche der Erde wird für die Lebensmittelproduktion genutzt. Sie verursacht mehr als siebzig Prozent des menschlichen Wasserverbrauchs und trocknet Flüsse, Seen und Grundwasserspeicher aus. Überdüngung zerstört die Ökosysteme von Flüssen und Küstenregionen, während die Rodung von Wäldern und die Umwandlung von Grünland in Ackerland Bodenerosion und einen Verlust an Biosphären und Artenvielfalt verursachen. Und doch halten wir Lebensmittel für selbstverständlich, und nur die wenigsten Bewohner der Industrienationen realisieren, wie fragil die Ernährung der Menschheit ist.
LFI: Was hat Sie dazu bewogen, das Projekt zu starten? Welche Auslöser gab es?
Frauke Huber: Bei einer Recherche zur Textilindustrie geriet der Anbau von Baumwolle in den Fokus, nachdem wir über die Zerstörung des Aralsees und die Massenselbstmorde indischer Baumwollbauern gelesen hatten. Geplant war, die textile Lieferkette vom Feld über die Schneiderei bis zum Verbraucher zu verfolgen. Doch uns wurde schnell klar, dass die Landwirtschaft selbst das umfassende, größere Thema ist, das vor 15 Jahren kaum im medialen Fokus stand. Bei der Baumwollrecherche ging es immer wieder um die Privatisierung von Saatgut, die Patentierung von Leben. Dann gerieten die massiven internationalen Landinvestitionen von großen Konzernen und Staaten in den Blick und schließlich die Debatte, ob der Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht sei. Von Anfang an haben wir bei unserer Recherche nicht nur fotografiert, sondern auch gefilmt und umfangreiche Videointerviews geführt. Wir erreichen damit ein größeres Publikum und können komplexere Geschichten erzählen.
Uwe H. Martin: Wir haben das Projekt in drei große Kapitel gegliedert, die auf einer Metaebene die Themen Wasser, Boden und Saatgut fokussieren: White Gold (2007–2012) beschäftigt sich mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen der globalen Baumwollproduktion. Das Kapitel wird in der aktuellen Ausstellung am Centre national de l’audiovisuel in Luxemburg als Neun-Kanal-Videoinstallation gezeigt. LandRush (seit 2011) analysiert die Auswirkungen großflächiger Agrarinvestitionen auf ländliche Ökonomien und Landrechte, den Boom von Energiepflanzen, den Kampf um Land und die Zukunft der Landwirtschaft weltweit. Es besteht aus einer Sechs-Kanal-Videoinstallation, zwei linearen Dokumentarfilmen und einer interaktiven iPad-App. Dry West (seit 2014) dokumentiert Wasserpolitik, die vom Menschen geformten Landschaften des amerikanischen Westens und die Auswirkungen der anhaltenden Dürre in der Region und wird als Sieben-Kanal-Videoinstallation gezeigt.
LFI: Wo lauern die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des Projekts?
Uwe H. Martin: Wir haben teils mit extremem Klima zu tun, minus 20 Grad am Aralsee, knapp 50 Grad plus in der kalifornischen Wüste und in der Grenzregion zwischen Äthiopien und dem Südsudan, mit Sandstürmen, großer Höhe und dünner Luft. Wir verbringen viel Zeit in abgelegenen Dörfern ohne Strom – schwierig bei Digitalkameras – und Sanitäranlagen, sind auf haarsträubenden Straßen unterwegs, atmen oft Staub, Pestizide, Herbizide und Abgase ein und müssen manchmal undercover arbeiten. Aber all das gehört einfach dazu und ist, nachdem es überwunden ist, ein wunderbarer Teil des Erlebten.
Frauke Huber: Die größte Herausforderung bei der Realisierung eines Dokumentarprojekts dieses Umfangs ist es, die Finanzierung immer wieder sicherzustellen. Deshalb verbringen wir jedes Jahr mehrere Monate mit dem Schreiben von Stipendienanträgen etc. – wertvolle Zeit, die wir lieber in die Recherche und Umsetzung unseres Projekts stecken würden.
LFI: Was wünschen Sie den Betrachtenden Ihrer Bilder, welche Message möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben?
Frauke Huber: Wir hoffen, dass vielen durch unsere Arbeit bewusst wird, wie fragil die Sicherheit unserer Ernährung ist und welche Bedeutung Landwirtschaft für unsere Umwelt hat. Wir wollen dabei keine einfachen Antworten und Lösungen vorspiegeln, denn die gibt es nicht. Weder Veganismus noch lokale Produkte noch Bio und vor allem nicht Hightech-Urban-Agriculture oder Gentechnik werden uns retten.
Uwe H. Martin: Natürlich kann man auch als Verbraucherin einiges tun, aber wir müssen vor allem politisch etwas bewegen und Gesetze so ändern, dass nicht weiter die falschen Anreize geschaffen werden.
Uwe H. Martin & Frauke Huber+-
Gemeinsam dokumentiert das Duo seit 2007 die sozialen und ökologischen Folgen der globalen Landwirtschaft in Form von traditionellen journalistischen Publikationen, linearen Web-Dokumentationen, interaktiven Apps und auch mit Rauminstallationen in Kunstinstitutionen. Ihre Projekte sind Teil des kollaborativen Kunst- und Forschungsprojekts World of Matter, das Uwe H. Martin 2010 mitbegründete. Im Laufe der Jahre erhielten Uwe H. Martin und Frauke Huber zahlreiche Anerkennungen und Preise für ihre Arbeit, darunter den Deutschen Reporterpreis, den Greenpeace Award, den Deutschen Kurzfilmpreis (Lola) und den Development Media Award. Mehr