Charaktere im Augenblick
Charaktere im Augenblick
Sebastian Lehner
27. September 2024
Sebastian Lehner: Ich finde Menschen und ihre Eigenheiten faszinierend – ihre Gesichtsausdrücke, interessante Äußerlichkeiten und die Situationen und Umgebungen, in denen sie sich befinden, entweder absichtlich oder versehentlich. Solche einzigartigen kurzen und zufälligen Augenblicke und Geschichten will ich einfangen, da sie wirklich so, in dieser Konstellation, nur einmal passieren werden. Ich bin auch ein FOMO (fear of missing out)-Mensch und will immer und überall dabei sein. Ich will so viel sehen wie möglich, und mit einer Kamera kann ich das am besten.
New York und London sind beliebte Motive bei Fotografen und Fotografinnen, was gab es für Sie Neues zu entdecken?
Ich wollte einfach die Stomping Grounds der großen Street- und Dokumentarfotografen betreten: Diane Arbus, Gordon Parks, Bruce Gilden, Jill Freedman, Joel Meyerowitz, Jeff Mermelstein … Wo geht dies besser als in NYC? Oder in London? Ich hatte schon immer eine Faszination für die Street- und Dokumentararbeit dieser Legenden: roh, direkt, menschlich. Nach der Pandemie wollte ich wieder raus auf die Straße und Menschen sehen, die Sehnsucht nach Interaktion und auch einer aktiven Art der Street Photography war bei mir sehr groß: Ich wollte die Charaktere meiner Bilder nicht im bereits komponierten Bild einfangen, sondern auf die Menschen zugehen und sie in ihrem Moment festhalten.
Wie war Ihre fotografische Herangehensweise?
Da gibt es zwei Szenerien: Beim Straight Up Go for It Street gehe ich, sobald ich jemanden sehe, der mich interessiert, auf die Person zu, mache das Bild und schlendere weiter. Dafür nutze ich gern meine Super-Elmar-M-21-mm- und Summilux-M-28-mm-Objektive bei f8 oder f11, Blitz in der Hand, inspiriert auch von Bruce Gilden. Für meine Street Portraits möchte ich Menschen, die mich faszinieren, etwas näher kennenlernen. Ich spreche sie einfach an und frage, ob ich sie porträtieren darf. Während ich sie fotografiere, unterhalten wir uns, wodurch sich die Stimmung lockert. Auf diese Weise habe ich auch schon ein paar neue Freundschaften geschlossen.
Wie eignet sich die Kamera für Ihren kreativen Prozess?
Meine M ist die perfekte Kamera. Beim Straight Up Street Prozedere ist sie klein und unscheinbar. Keine großen Objektive oder Bodys – ich werde nicht müde, während ich stundenlang durch die Straßen ziehe. Beim Porträtieren ist sie ideal: Sie verdeckt mein Gesicht nicht, ich kann mich noch mit meinem Gegenüber unterhalten und Blickkontakt halten. Technisch gesehen kann ich an meiner analogen M dieselben Objektive nutzen, da ich gern mit beiden unterwegs bin. Und noch etwas Sentimentales: Die schwarze Lackierung an meiner Black Paint und meiner M6 (2022) nutzt sich mit der Zeit ab; jeder Kratzer, jede freigelegte Stelle, an der das Messing durchschimmert, ist ein Souvenir einer Reise, eines schönen Tages oder eines Shoots und ein Beweis dafür, dass die Kamera verwendet und geliebt wird.
Sebastian Lehner+-
Der Fotograf, 1992 geboren, lebte zunächst hauptsächlich in Guatemala City, bevor er 2005 nach Deutschland kam. Im Alter von 12 Jahren schenkte ihm sein Vater seine erste Kamera, autodidaktisch widmete er sich parallel zu seiner Ausbildung als Touristikkaufmann der Fotografie und dem Film. Seit 2018 arbeitet er als Director of Photography bei Kreatives GmbH, einem Creative Studio in München. Nebenbei ist er als freier Fotograf und Filmer für Theater, Konzerte, Hochzeiten und Porträts tätig. Mehr