Behind the Scenes: Un pezzo di papà
Behind the Scenes: Un pezzo di papà
Patrick Zachmann
16. April 2024
Fast 40 Jahre später kontaktiert Andrea Mormiles Enkel den Fotografen. Er ist durch ebenjenes Fotobuch auf ihn aufmerksam geworden und bittet ihn, die Familie erneut zu besuchen. Ohne langes Zögern kehrt der Fotograf zurück – mit jeder Menge unveröffentlichter Fotos im Gepäck. Das Treffen ist hochemotional, ermöglicht aber auch, ein Stück der Familiengeschichte zu rekonstruieren und die Auswirkungen von Mormiles Polizeiarbeit zu reflektieren. Und es inspiriert Zachmann dazu, eine filmische Dokumentation seiner Erfahrungen zu erstellen.
LFI: Wie hat die Familie reagiert, als Sie sie besucht haben? Was war Ihr erstes Gefühl in dieser Situation?
Patrick Zachmann: Als ich sie zum ersten Mal besuchte, war ich sehr bewegt von der Art, wie sie mich empfingen. Sie betrachteten mich mehr als Familienmitglied als als Fotografen oder Kameramann. Sie luden mich zu einem Weihnachtsessen ein, und nach dem Essen legte ich ihnen Abzüge von Andrea vor, die ich mitgebracht hatte. Die meisten davon kannten sie nicht. Ich konnte die Emotionen aller Mitglieder dieser traumatisierten Familie am Tisch spüren.
Plötzlich fing Paride, der ältere Sohn von Andrea, der Polizist geworden ist, an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Seine eigenen Kinder verstanden nicht, warum er weinte und sahen mich an und fragten sich: Warum bringt dieser Mann unseren Vater zum Weinen? Als Paride sich beruhigt hatte, erklärte er ihnen, dass er vor Rührung weinte, als er all diese Bilder seines verschwundenen Vaters entdeckte, und sagte, dass er, als er mich sah, das Gefühl hatte, „un pezzo di papà“ (ein Stück von Papa) zu sehen.
Was war die Motivation für die Entwicklung eines Dokumentarfilms?
Fotografie ist großartig, aber sie hat auch ihre Grenzen. Da ich mich als Geschichtenerzähler sehe, ist das Drehen von Filmen ein logischer Schritt, den ich schon vor 25 Jahren getan habe. Ich mag es, auf Fotogeschichten zurückzukommen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, und den Ton, die Bewegung und die Zeit, die vergangen ist, hinzuzufügen. Das erlaubt mir, weiter in die Geschichte vorzudringen und mit der Distanz die Dinge zu analysieren.
Un pezzo di papá+-
Der Film Un pezzo di papà, produziert von Les Films d’ici, Audioimage, Vosges TV und France Television, wird auf verschiedenen Festivals gezeigt und dient als Hommage an Andrea Mormile, Zachmanns Arbeit in Neapel und die Kraft des Mediums Fotografie. Weitere Informationen sowie einen Trailer finden Sie auf der Webseite von Magnum Photos.
LFI 3.2024+-
Zachmanns Bilder aus dem Neapel der 1980er-Jahre finden Sie im LFI Magazin 3.2024. Mehr
Patrick Zachmann+-
Der französische Fotograf und Filmemacher wurde 1955 geboren und ist seit 1985 Mitglied der Agentur Magnum. Im Laufe seiner Karriere setzte er zahlreiche Langzeitprojekte um, die etwa die jüdische Identität, die chinesische Diaspora oder die Polizeiarbeit in Neapel dokumentieren. Nach wie vor beeinflusst er die Welt der Fotografie durch internationale Ausstellungen, Retrospektiven und Workshops. Mehr