Nachruf: Thomas Hoepker

12. Juli 2024

Der große Humanist mit der Kamera ist nach langer Krankheit verstorben.
Der Wahrheit verpflichtet: Seine Bilder sind direkt, engagiert, unaufgeregt, empathisch. Thomas Hoepker hat wie wenige andere über einen so langen Zeitraum den deutschen Bildjournalismus geprägt. Als fester Mitarbeiter wichtiger Magazine, als Bildjournalist und Korrespondent, als künstlerischer Autorenfotograf, aber auch als Art-Direktor und international renommiertes Mitglied der Bildagentur Magnum hat er in der Fotografiegeschichte prägende Spuren hinterlassen.

Er war ein Fotoreporter, noch ganz im klassischen Sinne, wobei er sich selbst gern als „Auftragsfotografen“ oder „Bilderfabrikanten“ bezeichnete. Sein Interesse galt gesellschaftlichen Themen und Phänomenen, die er bevorzugt im präzise gestalteten Porträt befragte. Ganz gleich, ob prominenter oder namenloser Zeitgenosse, seine Fotografien leben von einer freundlichen Zugewandtheit, dem Interesse am Menschen und seiner Umwelt. Auch wenn sich zuweilen eine gute Prise Ironie in den Motiven findet, sind sie nie voyeuristisch oder gar bloßstellend. Seine humanistische Weltsicht hat in Verbindung mit seinem feinen visuellen Gespür ein riesiges Lebenswerk entstehen lassen, aus dem zahllose Aufnahmen ikonisch herausragen. Einen Monat nach seinem 88. Geburtstag ist Hoepker, der seit einigen Jahren an Alzheimer litt, im Kreise seiner Familie am 10. Juli friedlich in Santiago de Chile gestorben, wie seine Witwe Christine Kruchen am Donnerstag bekannt gab.

Seine frühesten Erfolge hatte Hoepker bereits 1954 und 1956 auf der photokina Köln, als er im Rahmen der Jugendwettbewerbe ausgezeichnet und 1958 ausgestellt wurde. Der 1936 in München Geborene studierte damals noch Archäologie und Kunstgeschichte, gab das Studium aber zugunsten seiner fotografischen Leidenschaft auf. Er wurde 1960 Bildreporter der Münchner Illustrierten, wechselte rasch zum Magazin Kristall und wurde 1964 Fotograf beim Magazin Stern in Hamburg. 1976 zog er als USA-Korrespondent nach New York, war Executive Editior der amerikanischen Geo-Ausgabe und kehrte von 1986 bis 1989 als Art-Direktor für den Stern nach Hamburg zurück. 1989 wurde er erstes deutsches Mitglied der Bildagentur Magnum und war von 1992 bis 1995 Vizepräsident, von 2003 bis 2007 Präsident der Kooperative. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Kruchen entstanden auch zahlreiche Dokumentarfilme.

Hoepker erhielt viele Auszeichnungen und veröffentlichte eine große Anzahl von Bildbänden und Ausstellungskatalogen. 2014 wurde er mit dem Leica Hall of Fame Award geehrt, viele Leica Galerien haben sein Werk ausgestellt. 2022 präsentierte das Ernst Leitz Museum die große Retrospektive Thomas Hoepker – Bilderfabrikant. Im selben Jahr kam der Film Dear Memories in die Kinos, bei dem der Fotograf – schon von seiner Alzheimer-Krankheit gezeichnet – bei einem Roadtrip quer durch die USA begleitet wird, in Erinnerung an und in der Wiederholung seines legendären Roadtrips von 1963. Viele der damals entstandenen Werke zählen zu seinen bekanntesten Bildern, wie auch seine späteren legendären Aufnahmen von Muhammad Ali.

Besondere Aufmerksamkeit sollte eine Aufnahme vom 11. September 2001 erzielen: Sie löste intensive Diskussionen aus, zeigte sie doch eine Gruppe junger Leute, die scheinbar unbekümmert das Grauen der brennenden Twin Towers beobachten. Ein Musterbeispiel für die Ambivalenz von Wahrheit und Dokumentation, der sich der Fotograf zeitlebens verschrieben hatte. Der zufällige Moment, aber auch die Perfektion der Aufnahme haben diese Fotografie zu einem ersten Symbolbild des 21. Jahrhunderts werden lassen. Wie so viele Bilder aus dem Werk des Fotografen wird es im Gedächtnis bleiben.
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite, außer #1 © Thomas Hoepker / Magnum Photos
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