Die Ruhe vor dem Sturm
Die Ruhe vor dem Sturm
Jaroslav Kučera
10. Juli 2023
Fußgängerunterführung am Wenzelsplatz, 1972
„Ich hatte einfach Glück!“, so der bescheidene Kommentar des Fotografen. Glück und Fortune. Wie so häufig, wenn er mit seiner Leica in der Stadt unterwegs war und es ihm gelang, großartige Momente oder kleine Alltagsdramen festzuhalten. Damals, so erinnert er sich, war er auf Motivsuche im Rahmen einer Reportage für eine Frauenzeitschrift. Es war eines seiner ersten Bilder, aber gedruckt wurde es später nicht.
Umso besser, dass auch dieses Motiv in dem neuen Bildband Calm before the storm. How we lived at normalization enthalten ist, der sich den Jahrzehnten zwischen dem Aufbruch der späten 1960er-Jahre und dem niedergeschlagenen Prager Frühling und der sogenannten Samtenen Revolution der späten 1980er-Jahre widmet. In fünf losen thematischen Kapiteln gibt der Bildband reiche Einblicke in das Werk des 1946 geborenen Fotografen. Die Aufnahmen sind eine spannende Chronik einer verschwundenen Welt, die neben politischen Szenen – ob Widerstand gegen die sowjetische Besatzung oder staatlich verordnete Aufzüge und Paraden – vor allem das Alltagsleben in Prag dokumentiert. Kučera ist ein genauer empathischer Beobachter, der die von ihm porträtierten Zeitgenossen nie bloßstellt, sondern sie zu Komplizen seiner Bildgeschichten macht. Er hat fotografiert, „weil er es musste“, so sein rückblickender Kommentar, auch wenn die meisten Bilder damals keine Öffentlichkeit fanden. Allein die Übernahme offizieller Aufträge, die Dokumentation von technischen Bauwerken, Architektur und Sehenswürdigkeiten, ermöglichte ihm eine Existenz als freier Fotograf. Nun ist eine Reihe von Bildern aus seinem Archiv sichtbar geworden – wir zeigen eine Auswahl aus dem Buch, ergänzt mit seinen Kommentaren. Noch heute erzählen seine Aufnahmen Geschichten, auch wenn sie in der Rückschau noch etwas mehr Melancholie auszustrahlen scheinen.
Calm before the storm. How we lived at normalization. Photos from the 70’s and 80’s+-
334 Seiten, 280 Schwarzweißabb.
Tschechisch/Englisch, 26 × 30 cm
Jakura
LFI 5.2023+-
Ein Klassiker-Portfolio zum Werk Jaroslav Kučeras zeigen wir im LFI-Magazin 5/2023. Mehr
Jaroslav Kučera+-
1946 im tschechischen Dorf Ředhošť geboren. Ab 1967 Studium an der Fakultät für Bauingenieurwesen der Tschechischen Technischen Universität in Prag. 1973 Abschluss des Studiums als Bauingenieur, unmittelbar danach als „freier“ Fotograf tätig. Erst nach 1989 konnte er den Hauptteil seiner in den Jahren zuvor entstandenen Aufnahmen veröffentlichen. Er war Gründungsmitglied der Fotogruppe Signum und wurde 1996 Mitglied der Hamburger Agentur Bilderberg. Im Jahr 2006 gründete er den Jakura Verlag. Zahlreiche Auszeichnungen und internationale Anerkennung. Er lebt in Prag. Mehr
Fußgängerunterführung am Wenzelsplatz, 1972
Velka Chuchle 1972
Národní Straße, Prag 1975
Karlsplatz, Restaurant der Schwarzen Brauerei (Černý pivovar); Prag 1969
Prag, Kačerov. Tag der Eröffnung der U-Bahnlinie C, Prag 1974
Straße V. Kotcích, Prag 1969
Der letzte Laternenanzünder; Prag Holešovice, 1978
Prag 1975
Prag 1974
Eine verlorene Partie. Nováků Spielsäle, Prag 1972