Chaos im Capitol

Chris Suspect

7. Januar 2021

Chris Suspect spricht über seine fotografische Arbeit unter extremen Bedingungen während eines surrealen, hektischen und in vielerlei Hinsicht denkwürdigen Ereignisses.
Lange vor dem 6. Januar warb US-Präsident Donald Trump aktiv für einen „wilden Protest“ in Washington D.C. Damit wollte er das stoppen, was er und seine Anhänger für eine manipulierte Wahl halten. Der Fotograf Chris Suspect wusste, wie leidenschaftlich Trumps Anhänger sein können und ahnte bereits, dass dieser Mittwochnachmittag ein historisches Ereignis werden würde.

LFI: Können Sie Ihren Eindruck von der Atmosphäre am Capitol Hill beschreiben?
Chris Suspect: Die Atmosphäre war, gelinde gesagt, surreal. Einige der Dinge, die ich von Trumps Anhängern hörte, fassen ihre Gefühle ziemlich gut zusammen. So behaupteten viele, dass das der Beginn des nächsten US-Bürgerkriegs sei. Ein paar Unterstützer brachen in Tränen darüber aus, wie die Capitol Police sie an diesem Tag behandelte. Viele fragten sich am bitteren Ende des Tages, als die Polizei die Menge endlich zerstreuen konnte, was sie jetzt tun sollen – als hätten ihr Handeln auf einmal seinen Sinn verloren.

Wie war es, in dieser extrem angespannten Situation zu arbeiten?
Es war hektisch. Man will ein Foto schießen, aber man möchte auch sicher sein. Meine größte Sorge war Covid-19, also trug ich tatsächlich den ganzen Tag eine Doppelmaske. Manchmal habe ich etwas Tränengas abbekommen und musste mir die Augen auswaschen. Tränengas und Masken sind problematisch, denn wenn das Material einmal Gas abbekommen hat, dann bleibt es dort. Ich war froh, dass ich viel Masken in Reserve hatte. Ich wurde auch von einigen Geschosssplittern getroffen, was ziemlich weh tat. Eine weitere Sorge war meine Rolle als Medienvertreter. Wie Sie vielleicht im Laufe des Tages gehört haben, eröffnete Trump seine Rede damit, dass er die Medien zum Feind des Volkes erklärte und dass sie an der gestohlenen Wahl mitschuldig seien. Ich habe gesehen, wie der Mob einige Journalisten vor dem Capitol angegriffen hat.

Was waren die größten Herausforderungen aus fotografischer Sicht?
Ich denke, die Herausforderungen sind immer die gleichen, nur dass dieses Mal ein enormer Druck herrschte. Ich würde es so umschreiben: Wie bekommt man ein überzeugendes Bild, das mehr vermittelt als das, was im Bildausschnitt abgebildet ist, und gleichzeitig eine Komposition besitzt, die ästhetisch ansprechend oder wirkungsvoll ist? Das ist schon an einem normalen Tag schwierig, aber in so einer Situation verschärfen das Tempo der Ereignisse und die ganzen Sicherheitsbedenken das Problem noch einmal. Man muss immer abwägen, welches Risiko man noch in Kauf nimmt, um schnell denken und gut handeln zu können.
Danilo Rößger
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Chris Suspect
EQUIPMENT: ​​​​​​​Leica M-P (Typ 240) mit Zeiss Biogon 1:2.8/35

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© Charles Steck
© Charles Steck

Chris Suspect wurde 1968 auf den Philippinen geboren. Der Street- und Dokumentarfotograf lebt in der Nähe von Washington, D.C. Seine international anerkannten Arbeiten wurden in Belgien, Deutschland, Italien, Rumänien, Georgien, Großbritannien, den USA und den VAR ausgestellt. Empty Stretch hat 2014 Supects dokumentarische Arbeit über die Underground-Musikszene in Washington, D.C. als Buch Suspect Device veröffentlicht. Mehr

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