Buchtipp: Measuring Time

27. Februar 2024

Erinnerung und Empathie: Der neue Bildband Measuring Time. The Photographs of Jeffrey A. Wolin präsentiert die wichtigsten Serien des amerikanischen Fotografen.
Jeffrey A. Wolin ist ein Geschichtenerzähler. Die direkte Kombination von Bild und Schrift spielt in vielen seiner Serien eine entscheidende Rolle: So finden sich auf diesen Prints Lebensgeschichten, Erinnerungen und Hoffnungswünsche oder kleine Kommentare, die um die Porträts aufgetragen sind und die Motive umso mehr zu berührenden, persönlichen Zeitdokumenten werden lassen. Lesen und Betrachten gehen in den Serien eine spannende Koexistenz ein, betonen die Zweidimensionalität der Arbeiten, verdichten die Geschichten zu dialogischen Prozessen. 

Der Bildband begleitete im letzten Jahr die Retrospektive im Sidney and Lois Eskenazi Museum of Art, Indiana University, in Bloomington. 2019 hatte Wolin sein Werk an das Museum gegeben, das nun dem 1951 geborenen Fotografen mit Ausstellung und Bildband eine vielschichtige Ehrung ausgerichtet hat. Wolin ist emeritierter Professor für Fotografie und Gründer des Zentrums für integrative fotografische Studien an der IU Eskenazi School of Art, Architecture and Design, wo er von 1994 bis 2002 als Direktor tätig war. Die frühesten Arbeiten in diesem Bildband entstanden bereits in den 1970er-Jahren, die jüngsten Aufnahmen der insgesamt zwölf Werkgruppen erst vor wenigen Jahren. Zu den bekanntesten Projekten gehören seine Serien Written in Memory: Portraits of the Holocaust; Inconvenient Stories: Vietnam War Veterans; Pigeon Hill: Then & Now.

Mit größtmöglicher Achtung und Anerkennung tritt der Fotograf seinen Mitmenschen gegenüber und gibt ihren Geschichten Raum, auch wenn ihre Lebenssituation und ihre Erfahrungen von Armut, Krieg und Trauma überschattet sind. Bereits sein erster Beruf als Polizeifotograf hat, so Wolin, seine offene Herangehensweise beeinflusst und prägte seinen Respekt vor der menschlichen Widerstandskraft. Vor allem in den Serien, in denen er an frühere Orte zurückkehrt und die Protagonisten noch einmal porträtiert, lassen ihn zu einem profunden Chronisten werden. Sein innovativer Ansatz, die Porträtierten selbst in Texten auf den Bildern sprechen zu lassen, geben den Motiven eine enorme Eindringlichkeit. Sein humanistischer visueller Anspruch wird mit den sichtbaren Texten um eine zusätzliche Ebene erweitert. Im besten Fall transformiert die handschriftlich fixierte, jeweils individuelle Erinnerung der Porträtierten die Bilder zu universellen Erfahrungen. Durch die ungewöhnliche formale Verschränkung von Text- und Bildebenen öffnen sich dem Betrachter dabei umso größere Assoziationsräume. Der Bildband ist eine Einladung, in das bemerkenswerte Lebenswerk einzutauchen.
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite: © Jeffrey A. Wolin

Measuring Time. The Photographs of Jeffrey A. Wolin+-

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Herausgegeben von Sidney and Lois Eskenazi Museum of Art, Indiana University, Bloomington; Mariah R. Keller
Texte von David A. Brenneman, Keith F. Davis, Nanette Esseck Brewer, Jeffrey A. Wolin 
192 Seiten, 85 Schwarzweiß- und 31 Farb-Abb.
29 × 24 cm, Englisch; Kehrer
Webseite J. WollinInstagram J. Wollin

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Buchtipp: Measuring Time