„Es passiert jeden Tag – so sicher wie die Sonne über der größten Favela Lateinamerikas in Caracas aufgeht: Eines der wenigen garantierten Dinge, die man in Venezuela finden kann, ist der Tod. Gewalt durchdringt den Alltag. Auf der Straße kollidieren Banden miteinander, mit der Polizei und mit der Armee. Sie alle missbrauchen ihre Macht. Gefangen in diesem Kosmos, kaufen selbst gewöhnliche Bürger Waffen, um sich zu schützen. Jeder von ihnen hat schon einmal einen Verwandten oder einen Freund verloren. Der Tod liegt in Caracas quasi in der Luft. Auf meinem Foto sieht man die Familie eines ehemaligen Polizeibeamten, der gerade in seinem Auto erschossen wurde. Die Hinterbliebenen trauern – in aller Öffentlichkeit. Für mich war das eine schwierige Situation, so einen intimen Moment in einer Menge von lauter Neugierigen zu fotografieren. Ich blieb kurz stehen und machte nur zwei Aufnahmen. Die Leica gab mir die nötige Unauffälligkeit. Ich blieb sozusagen unter dem Radar, ein unschätzbarer Wert in einer Stadt wie Caracas. Meine Serie über die Gewalt heißt
Fear and Loathing (Angst und Abscheu). Ich habe sie in Schwarzweiß fotografiert, weil es mir eine andere Art des Sehens verschafft. Vielleicht wirkt es dramatischer. Nachdem ich das Foto gemacht hatte, bin ich zu einer Poolparty von Freunden gegangen. Ich betrat eine entgegengesetzte Welt: Pool und Getränke, Sicherheit und Zufriedenheit. Ehrlich gesagt, habe ich mich dort ein wenig schuldig gefühlt.“