Dear New Yorker

Joseph Michael Lopez

22. September 2017

Seine Geburtsstadt hat Joseph Michael Lopez als Kind verlassen, doch er kehrte zurück und machte New York zu seiner Bühne und das Alltägliche zu etwas Besonderem. Eine emotionale Auseinandersetzung mit einer Stadt im Wandel.
Es ist ein heißer Julitag in New York. Aus dem Zugfenster kann ich die Brooklyn Bridge sehen. Ich bin unterwegs nach Flatbush, um mit Joseph Michael Lopez zu sprechen. Wir kennen uns seit fünf Jahren. In seinem Apartment angekommen, bin ich von Kameras, Drucken und Bildern umgeben. Die Liebe, die Lopez für seine Arbeit und für seine Heimatstadt empfindet, ist wahrlich kein Geheimnis.

Wann hast du angefangen, die Straßen von New York zu dokumentieren? Was war dein Antrieb?

Nach meiner Rückkehr arbeitete ich zunächst als Assistent für Bruce Weber. Irgendwann bemerkte ich aber, dass Modefotografie nicht wirklich meine Sache ist. Die Entscheidung, mit der Kamera auf die Straße zu gehen, entsprang der Tatsache, dass ich einfach noch nicht genau herausgefunden hatte, wer ich bin. Ich war naiv und wollte mich selbst und die Welt um mich herum verstehen.

Würdest Du sagen dass Dein kultureller Hintergrund Deine fotografische Arbeit beeinflusst hat?

Absolut. Ich glaube, dass meine kulturelle und familiäre Herkunft von einem freiheitskämpferischen Ansatz durchzogen ist. Ich bin in Washington Heights auf die Welt gekommen, mein Vater ist Puertorikaner, meine Mutter kam 1967 aus Kuba nach Amerika, nachdem sie vor Fidel Castros Revolution geflohen war. Mein Grossvater und mein Onkel waren politische Gefangene. Das Thema Freiheit und die Existenz der Meinungsfreiheit sind etwas, das sich tief in meinem Denken und meiner persönlichen Geschichte verankert hat.

Es kann eine grosse Herausforderung sein, in einer so vielfotografierten Stadt wie New York seine eigene Bildsprache zu finden. Fandest Du es schwierig, Deinen eigenen Ansatz und erzählerische Perspektive zu finden?

Ich fand viele Dinge eine Herausforderung. Aber bei meiner visuellen Ästhetik war es so, dass sich meine eigenen Stimme erst ganz allmählich herausbildete. Es war ein Prozess des Erwachsenwerdens: zu lernen, mich in meiner eigenen Haut wohlzufühlen und mich gleichzeitig immer wieder neu herauszufordern. Es geht darum, etwas das in deinem Herzen liegt einzufangen, in einem Bildausschnitt zu erfassen, herauszufinden, wo und wofür du stehen willst. Im Endeffekt kommt es darauf an, ob du wirklich etwas auszusagen hast.

Mit welcher Kamera arbeitest Du, und warum hast Du Dich für eine Leica entschieden?

Ich habe eine Leica ausgesucht noch bevor ich in der Lage war, ein gutes Bild zu machen. Es ist eine analoge MP 0.58. Ich war fasziniert von der Geschichte hinter Leica und der anfänglichen Herausforderung, diese Kamera zu meistern und sie mir zu eigen zu machen. Der ausschlaggebendste Faktor für mich war die Möglichkeit, am Motiv dranzubleiben ohne von einem DSLR-Spiegel beeinträchtigt zu werden.

Interview: Francesca Gennari.
1988 in Parma, Italien, geboren. Gennari ist Bildredakteurin beim Burn Magazine und freie Fotografin. Sie lebt in New York.

Farbfotos: In Zusammenarbeit mit dem Museum of the City of New York; New York at Its Core: Future City Lab

Weitere Bilder und das ganze Interview finden Sie in der LFI 7/2017.
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Joseph Michael Lopez

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JML_(c) Rachel Elizabeth Seed
© Rachel Elizabeth Seed

Geboren 1973 in New York. Lopez begann seine Karriere als Kameramann bei dem von der Kritik hochgelobten Bruce-Weber-Film Chop Suey (2001). Bis 2009 war er Autodidakt, dann ging er ohne Abschluss an die Columbia University, die ihn als MFA-Kandidat akzeptiert hatte, und schloss 2011 ab. Seine Fotografien erschienen unter anderem in der Sunday Review, im New York Magazine und im New Yorker. Mehr

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