In Syke

Jo Fischer

3. März 2017

Für acht Wochen lebte der Berliner Fotograf Jo Fischer in einer norddeutschen Provinzstadt bei Bremen. Entstanden ist eine eindrucksvolle Fotoserie, die jetzt als Bildband im Kerber Verlag erscheint.
Für acht Wochen lebte der Berliner Fotograf Jo Fischer in einer norddeutschen Provinzstadt bei Bremen. Entstanden ist eine eindrucksvolle Fotoserie, die jetzt als Bildband im Kerber Verlag erscheint.

Syke hat 24.000 Einwohner und keine Berühmtheiten. Was hat Sie dorthin verschlagen?

Ich wurde eingeladen. Der Leiter des Kulturzentrums Syker Vorwerk Nils-Arne Kässens hatte meine Foto-Serie German Feierlichkeit gesehen, die Menschen auf Rummelplätzen, in Vereinsheimen oder auf Schützenfesten zeigt. Gemeinsam stellten wir uns zunächst so eine Reihe auch für die Stadt Syke vor. Allerdings reiste ich dann genau zu einer Jahreszeit an, in der kaum mehr gefeiert wird.

Es war Herbst …

… ja, und es war ziemlich trüb. Die Straßen waren leer, das Wetter war grau und neblig. Mein Vorhaben, prachtvolle Farbaufnahmen zu machen, habe ich schnell über den Haufen geworfen. Ehrlich gesagt, wollte ich sogar nach drei Wochen schon aufgeben und abfahren. Die Einwohner von Syke waren wenig zugänglich, sehr verschlossen. Für ein Porträt über eine Stadt erschien mir das eher ungünstig.

Jetzt ist aus Ihrem Syke-Projekt ein Buch entstanden. Es hat also doch noch geklappt.

Dank einer Pressekonferenz erhielt ich endlich Zugang zu den Menschen. Seniorentanz, Friseur, Wohnheim für psychisch Kranke. Ich habe angefangen, in Schwarzweiß zu fotografieren. Das entsprach nicht nur der jahreszeitlichen Tristesse, sondern auch meinem Gemütszustand. Ich muss sagen, das Projekt war eine Herausforderung, denn ich habe einiges dazu gelernt. Wenn die Wirklichkeit nicht genug Raum bietet, muss man anfangen, zu dichten. Und so ist In Syke keine klassische Dokumentation, sondern eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion geworden.

Neben wolkenverhangenen Landschaften haben Sie auch alte Menschen fotografiert. Die Porträts zeigen Falten, Narben, Poren. Was war Ihre Absicht?

Ich wollte die Menschen zeigen, wie sie wirklich sind. Geradeaus, direkt und ernst. Lachen verzerrt nur das Gesicht. Die Porträts sind sehr nah und dicht, aber mit einem liebevollen Zugang fotografiert. Es sind ehrliche Bilder, Bilder, die Würde zeigen, den Menschen und wie er älter wird. Sie stellen niemanden bloß. Bislang hatte ich Porträts in dieser geraden Form noch nie gemacht, mit der Leica SL und ihrer Zoomoptik lag das aber nahe.

Wie haben die Einwohner aus Syke auf Ihre Bilder reagiert?

Bei der Ausstellungseröffnung im Syker Vorwerk war die Resonanz durchaus positiv. Etwa 200 Leute waren da und es wurde viel diskutiert. Die Besucher stellten mir ganz sachliche Fragen wie: Warum haben Sie das unscharf fotografiert? Und ich habe ihnen erklärt, dass ein Bild immer auch die Stimmung des Fotografen wiedergibt. Licht, Kontraste und Unschärfe – diese Dinge verdeutlichen auch meine Gefühle im Moment des Auslösens. Und so ist In Syke genau genommen wie ein Tagebuch. Die Bilder erzählen meine Geschichte von Ankunft, Scheitern, Wiederauferstehung, Ausstellung und Abfahrt.

Weitere Bilder von Jo Fischer sehen Sie in der LFI 2/2017.
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© Jo Fischer

1970 in Berlin geboren, aufgewachsen in Venezuela und Kuwait. Fischer war 20 Jahre Musiker, bis er 2008 den Weg zur Fotografie fand. 2010 folgte die erste Einzelausstellung in Hamburg, 2012 wurde er mit seiner Serie „Herr Fischer bittet zu Tisch“ in die Hamburger Deichtorhallen eingeladen und 2015 für den Kolga-Award nominiert. Fischer ist Dauerreisender und immer auf der Suche nach Geschichten. Mehr

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