Workbook

19. Juni 2015

„Die Bilder habe ich absichtlich in den Vordergrund gestellt, damit der Inhalt nicht lesbar ist. Weil es schließlich nicht um die Einträge in dieses „sinnlose“ Buch geht, sondern durch die Bilder wird eine wahre Geschichte über die Menschen erzählt.“
Der Fotograf Kirill Golovchenko, 1974 in Odessa geboren, veröffentlicht mit seinem aktuellen Bildband Arbeitsbuch eine Collage, in der er seine Impressionen über die Härte des Alltags von Senioren in der Ukraine mit original Arbeiterdokumenten aus der UdSSR verschmilzt. Der kleine handliche Band, eher eine Broschüre von 32 Seiten, erscheint in einer Auflage von 500 Exemplaren und wird rein optisch von der Haptik der unterschiedlichen Materialien getragen. Golovchenko wagt darin das Experiment, seine Fotos nicht auf neutralem Hintergrund, sondern sie eingebettet in Faksimiles historischer Arbeiterbücher, in diesem Fall das Arbeitsbuch seines Vaters, zu zeigen. Dessen Seiten weist teilweise handschriftliche Eintragungen auf und bildet so eine authentische historische Folie, die mit Golovchenkos zeitgenössischen Impressionen korrespondiert. Das Cover wurde mit Prägung realisiert, gedruckt wurde auf mattem, ungestrichenen Papier, um auch durch das Griffgefühl ein hohes Maß an Authentizität zu erzeugen. Golovchenko hat das Buch selbst gestaltet und im Eigenverlag „Salo Books“ publiziert. Das Resultat ist ein kleines feines, sehr konzeptuelles Projekt. „17 Farbabbildungen reichen völlig, um die Sache zu verstehen. Es muss nicht immer ein Mammutprojekt sein“, sagt Golovchenko.

Mit seinen Bildern gewährt Golovchenko Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelt in der heutigen Ukraine, seines Heimatlandes. Arbeitsbuch dokumentiert das Schicksal hart arbeitender Menschen am Ende ihres Erwerbslebens, denen trotz ihrer Anstrengungen kein Leben im Wohlstand gelang. Existenzen in der abgeschlossenen Kaste der Arbeiter. Fotografiert hat Golovchenko die Serie im Frühjahr und Sommer 2014, zu großen Teilen in Odessa und Kiew. Die Bilder wirken wie eingefroren, oft ist es nicht möglich, sie beim bloßen Betrachten zeitlich einzuordnen.

Der Titel Arbeitsbuch bezieht sich auf die gleichlautende gebräuchliche Bezeichnung für das Protokoll und Führungszeugnis von Arbeitern, wie sie in der UdSSR seit 1939 an jeden Erwerbstätigen ausgegeben wurden. Diese Arbeitsbücher existieren in Russland und in der Ukraine immer noch. Sie sollten alle Stationen eines Arbeitnehmers in seinem Arbeitsleben dokumentieren und dienen für eine Festsetzung der Rente. 

„Die Höhe von Renten ist in der Ukraine sehr niedrig und beträgt weniger als 55,– Euro im Monat. Das bedeutet einen Überlebenskampf für viele Rentner von Tag zu Tag. Viele von ihnen sind gezwungen, weiterhin hart zu arbeiten, damit sie überleben können. Da die Rente nicht ausreicht, erscheint das ganze System von Arbeitsbüchern sinnlos. Die Arbeitnehmer wurden von dem Staat betrogen“, schildert Golovchenko die Situation vieler Senioren – die Menschen haben geschuftet, konnten sich aber kein Guthaben erwirtschaften. Mehrere Inflationswellen durchrollten das Land.

Die Arbeitsbücher haben traditionell ein blaues Cover, die Eintragungen wurden meist mit blauer Tinte vorgenommen, gleichzeitig ist die Farbe spezifisch für die Arbeitskleidung sowohl damals als auch noch heute. Blaue Farbe taucht auf jedem von Golovchenkos Bildern auf, eine Reminiszenz an die Arbeitsbücher und stilistisch ein Roter Faden in dem Zyklus, eine zeitlose Momentaufnahme aus dem Leben urkrainischer Rentner, die sich nicht zur Ruhe setzen können. Carla Susanne Erdmann

© Salo books, 2015
Maße: 102 x 145 mm
Gewicht: 35 Gramm
Broschüre, 32 Seiten
17 Farbabbildungen
Edition 500 ex. / signiert, nummeriert
Sprache: Deutsch, Russisch
EUR 12,00

Erhältlich im LFI Shop
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