Peru – A Toxic State

Alessandro Cinque

15. April 2021

Alessandro Cinque hat ein beeindruckendes Beispiel für die Auswirkungen des Neokolonialismus in Südamerika fotografiert.
Das Projekt Peru: A Toxic State ist eine groß angelegte fotografische Reise: 8000 Kilometer, vier Jahre, sechs Bergbaugemeinden. Entlang des Corredor Minero in Peru fotografiert, zeigt das Projekt die sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen für die indigene Bevölkerung, die in der Nähe dieser Minen leben. Im Interview spricht der Fotograf Alessandro Cinque über lateinamerikanische Fotografie, die großen Pläne, die er mit dem Projekt hat und welche persönliche Bedeutung es für ihn besitzt.

LFI: Was sind die größten Einflüsse auf Ihre fotografische Arbeit?
Alessandro Cinque: Ich habe mich schon immer zur klassischen Fotografie hingezogen gefühlt, also beispielsweise die Magnum-Fotografie der 80er- und 90er-Jahre. Ich war schon immer fasziniert von allem, was man als „klassisch“ bezeichnen kann. Ich höre gerne klassische Musik und bin überzeugt, dass die Menschen auch in 100 Jahren, wenn es neue Musiktrends gibt, weiterhin Opern hören werden. Das Gleiche denke ich über die Fotografie. In letzter Zeit habe ich mich viel mit südamerikanischer, indigener Fotografie auseinandergesetzt. Ich glaube, dass Südamerika gerade einen Generationswechsel erlebt und endlich eine eigene Bildsprache entwickelt. Deshalb vergleiche ich gerne die Arbeiten junger einheimischer Fotografen mit den Arbeiten der großen lateinamerikanischen Fotografen, allen voran mit denen von Martin Chambi.

Peru: A Toxic State ist ein seit 2017 laufendes Projekt. Welche persönliche Bedeutung hat es für Sie?
Es hat mein Leben verändert. Im Laufe der Zeit habe ich mich mehr und mehr mit den Geschichten dieser Menschen beschäftigt und Entscheidungen getroffen, die mein Leben auf den Kopf gestellt haben. Vor diesem Projekt habe ich kleine Geschichten gemacht, aber ich hatte immer das Gefühl, dass es nicht genug war, ich fühlte mich oberflächlich. Ich wollte tiefer in die Materie einsteigen. Von 2017 bis 2019 war ich in Peru unterwegs, während ich in Italien lebte, und ich begriff, dass ich immer wieder die gleichen Dinge fotografierte und erzählte. Ich fühlte mich festgefahren. Meine Fotografie musste sich ändern und dazu musste ich mich verändern.
Ich glaube, es gibt eine ungeschriebene Vereinbarung zwischen dem Fotografen und seinen Protagonisten: Die Protagonisten stellen zur Verfügung, was sie haben – ihr Bild und ihre Geschichte. Der Fotograf muss die Bedeutung dieser Verantwortung und dieses Vertrauens spüren und dafür sorgen, dass die Geschichten dieser Menschen von so vielen wie möglich gehört und gesehen werden. Bewegt von dieser moralischen Verantwortung beschloss ich, dass es an der Zeit war, mehr zu tun. Im Dezember 2019 zog ich nach Peru, um die peruanische Gesellschaft und Kultur zu verstehen, indem ich sie jeden Tag lebe. Ich fing ich an, mich selbst zu verändern und damit auch meine Fotografie. Ich habe meine Komfortzone verlassen, aber im Moment ist das meine Priorität.

Wird dieses Projekt jemals zu einem Abschluss kommen?
Ich möchte, dass das Projekt für die Menschen vor Ort nützlich ist, ich möchte über die Begebenheiten aufklären, die dort herrschen. Bislang habe ich in sechs Bergbaustädten fotografiert und möchte noch fünf weitere fotografieren. Das ganze Projekt soll als eine Reise durch Zeit und Raum verstanden werden. Ich versuche gerade Zuschüsse und Stipendien einzuwerben. In den letzten Monaten habe ich an einem Fanzine gearbeitet mit einer Visualisierung der Historie der Städte, in denen ich fotografiert habe, in einer Karte. Die begleitenden Texte sind in Quechua und Spanisch. Sobald es fertig ist, möchte ich das Fanzine den jeweiligen Gemeinden im Corredor Minero schenken, um detailliert darüber zu informieren, was in ihrer Nähe passiert. Über Veröffentlichungen, Auszeichnungen und Stipendien hinaus, die der Finanzierung dienen, hoffe ich, dass diese Arbeit den Menschen, die ich fotografiere, nützt. Meine größte Genugtuung bis heute ist, dass ein Professor einer kanadischen Universität die Arbeit für das Studienprogramm ausgewählt hat und dass sie über eine NGO den Vereinten Nationen als Karte dient. Am Ende würde ich mir wünschen, dass aus dem Projekt ein Buch entsteht. (Interview: Danilo Rößger)

Alle Bilder auf dieser Seite: © Alessandro Cinque
Ausrüstung: Leica M9 und M10 mit Summicron-M 1:2/50, Summicron-M 1:2/35 Asph, Leica Q, Summilux 1:1.7/28


Mehr über sein Projekt erfahren Sie in der neuen LFI 3/2021.
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Alessandro Cinque

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© Federico A. Cutuli
© Federico A. Cutuli

Soziale und ökologische Probleme stehen im Vordergrund von Cinques Arbeiten. 2017 dokumentierte er den Goldabbau im Senegal und den Warenschmuggel an der Grenze zwischen Irak und Iran. Während des Studiums am ICP in New York porträtierte er 2019 die italoamerikanische Gemeinde in Williamsburg und fotografierte die verlassenen Uranminen in den Navajo-Gebieten von Arizona. Mehr

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