Winter is Coming
Winter is Coming
Zalán Ilyés
3. April 2024
Zalán Ilyés: Es handelt sich um eine Serie von Bildern, die räumlich und zeitlich getrennt sind. Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Orte und doch mit derselben Schwierigkeit konfrontiert: Einsamkeit. Wenn man ein bestimmtes Alter erreicht, verlangsamt sich das Leben, die Tage werden lang und leer. Krankheit und Armut machen diese Momente noch schwieriger. Vielleicht lässt sich das, worum es in diesen Bildern geht, am besten mit den Worten eines älteren Menschen ausdrücken, der zu mir sagte: „Plötzlich ist das Leben so lang geworden, dass es niemanden mehr gibt, den ich jemals kannte. Endloses Leid und Einsamkeit ist alles, was mir bleibt.“
Wie und wo haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?
Es sind die Menschen, die um uns herum leben, unsere Nachbarn, die wir nie sehen, in den Großstädten, auf den Bauernhöfen, auf dem Lande. Sie sind überall, und doch nicht sichtbar. Ich kam zufällig zu dieser Serie. Ich begegnete einer Betreuerin, die älteren Menschen ein warmes Mittagessen aus der Küche eines örtlichen Waisenhauses brachte. Ein paar Minuten später fand ich mich auf dem Rücksitz eines klapprigen Autos wieder. Nur ein kleiner Pfad führte zu dem Haus, zu dem wir fuhren. Das Zimmer war still, als wir eintraten. Eine weißhaarige Frau saß auf dem Bett vor den Fotos ihrer Kinder und Verwandten. Ihre Augen leuchteten, als sie uns sah, und sie begrüßte uns mit einem Lächeln im Gesicht. Es war nicht das Essen, das sie glücklich machte, sondern wir. Obwohl sie mich noch nie zuvor gesehen hatte, empfing sie mich mit großer Zuneigung und begann, mir Geschichten zu erzählen. Zum Abschied sagte sie zu mir: „Danke für Ihren Besuch. Sie sind die erste Person in diesem Monat, die mich besucht, abgesehen von der Frau, die das Essen bringt. Sie können jederzeit gern wiederkommen.“ Sie war zu diesem Zeitpunkt 86 Jahre alt. Da wurde mir klar, dass ich etwas zu diesem Thema machen wollte.
Was bedeutet Winter is coming für diese Menschen?
Dass für sie das Ende in greifbarer Nähe ist, aber sie nicht wissen, wann es kommen wird oder wie lange sie noch warten müssen. Diese einsame, kränkliche Zeit des Wartens ist der letzte Teil ihres Lebens. Die Serie ist eine Ode an die Einsamkeit des Alters und erzählt von den letzten Tagen einer langen und anstrengenden Reise, von den letzten Schlachten, die es zu schlagen gilt. Zu all dem kommt noch die Armut hinzu, sodass manche Menschen statt eines friedlichen, idyllischen Ruhestands mit dem konfrontiert werden, was sich am besten mit den Worten eines freundlichen älteren Mannes zusammenfassen lässt: „Diesen Monat habe ich mich gefragt, was besser ist: hungern, frieren oder Pillen kaufen.“
LFI 3.2024+-
Ilyés' eindrucksvolle Fotoreportage über Waisenhäuser in Rumänien finden Sie im LFI Magazin 3.2024. Mehr
Zalán Ilyés+-
1994 in Siebenbürgen geboren, studierte Zalán Ilyés Film, Fotografie und Medien an der Ungarischen Universität Sapientia in Cluj. Seit 2016 arbeitet er als Fotojournalist bei der Tageszeitung Szabadság. 2017 wurde eine seiner Arbeiten für die Sony World Photography Awards ausgewählt und im Somerset House in London ausgestellt. Er ist Mitglied der Random Gallery; 2023 gewann er den 3. Preis der „Ungarischen Pressefotografie“ in der Kategorie Porträt. Mehr