Indigener Widerstand

Scott Brennan

10. April 2020

Scott Brennan dokumentiert den bitteren Kampf indigener mexikanischer Gemeinschaften, deren traditionelle Kultur auf dem Spiel steht.
Scott Brennan dokumentiert den bitteren Kampf indigener mexikanischer Gemeinschaften, deren traditionelle Kultur auf dem Spiel steht. Im Interview spricht der Fotograf über ein denkwürdiges Aufeinandertreffen, seine fotografischen Vorbilder und das Wichtigste, was er im Verlauf seines Projekts gelernt hat.

LFI: Was hat Sie motiviert, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?Scott Brennan: Als ich nach Mexiko gezogen bin, war ich einige Jahre lang auf der Suche nach einem persönlichen Projekt. Als ich durch die hochgelegenen Kiefernwälder von Michoacán fuhr, stieß ich auf eine Straßensperre mit maskierten Männern. Sie hatten Gewehre und hatten sich hinter Sandsäcken verschanzt.
Obwohl ich total erschrocken war, waren diese Männer völlig entspannt und ließen mich passieren. Unten an der Straße hielt ich an einer Tankstelle und fragte den Tankwart, was los sei und ob ich Angst haben sollte. Er antwortete ziemlich nachdrücklich: „Nein, das ist die hier ansässige indigene Bevölkerung, die ihr eigenes soziales Experiment verfolgt und eine autonome Regierung gegründet habt.“ Ihr Ziel sei, die Gewalt in der Gegend zu beenden und ihre angestammten Gebiete zu beschützen.

Dieser Kontrollpunkt war also ihre Schleuse – sie konnten sehen, wer ihr Gebiet betritt und verlässt. Ich wusste sofort, dass ich mein Projekt gefunden hatte. So kam ich über einen Radiosender mit den Indigenen in Kontakt. Sie waren sehr offen, freundlich und erzählten gern ihre Geschichte. Also begann ich dort zu fotografieren.

Warum ist das Gebiet der indigenen Bevölkerung so begehrt und für wen genau?
In Mexiko gibt es enorm große indigene Territorien. Es gibt dort Mineralien im Wert von Milliarden Dollar, die transnationale Bergbauunternehmen in die Hand bekommen wollen. Zudem gibt es in Santa Maria Ostula atemberaubende unberührte Strände, die relativ dünn besiedelt sind. Früher nutzte das organisierte Verbrechen diese Strände, die nicht weit von Kolumbien entfernt sind, um illegale Produkte anzulanden. Nun will die Tourismusbranche die Strände erschließen. Auch der Handel mit China nimmt in Mexiko zu und Santa Maria Ostula liegt direkt zwischen zwei großen mexikanischen Hafenstädten. Es gibt viele internationale Interessengruppen, die wollen, dass die kleine zweispurige Straße, die sich durch das indigene Gebiet schlängelt, ausgebaut wird, um den Handel zwischen den beiden Hafenstädten zu stärken. Und dann gibt es noch die Kleinbauern, die nicht Teil der kommunalen landwirtschaftlichen Tradition der Indigenen sind, und ständig in ihre Territorien eindringen. Sie wollen Teile des Landes zu ihrem Privateigentum zu machen.

Was ist das Wichtigste, was Sie im Laufe Ihres Projekts gelernt haben?
Dass es weltweit einen enormen Reichtum an Sprachen, Weltanschauungen und Philosophien gibt, der schnell ausgelöscht werden wird, wenn die Menschen nicht dagegen ankämpfen. Diese Kämpfe sind extrem wichtig, denn der Verlust der Kultur ist oft mit dem Verlust von Land und angestammten Gebieten verbunden.

Hatten Sie einen bestimmten fotografischen Ansatz? Und konnten Sie am Ende verwirklichen, was Sie sich vorgenommen hatten?
Meine fotografische Herangehensweise ist immer die gleiche: Ich benutze meine Kamera, um mich in eine Situation zu versetzen, und mehr darüber zu erfahren. Bestenfalls haben die Bilder am Ende einen Nutzen. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, mit diesen Gemeinschaften zu leben und Freundschaften zu schließen, dass ich sagen würde: Ja, ich war erfolgreich. Aber das Projekt geht weiter, da sich die Situation vor Ort ständig ändert. Ich habe noch große Pläne für das Projekt.

Haben Sie fotografische Vorbilder?
Da ich in den 1980er-Jahren aufgewachsen bin, sind da natürlich erst einmal die großen Namen, die man erwartet, zum Beispiel Eugene Richards oder Susan Meiselas. Danach begann ich, mich für lateinamerikanische Fotografie zu interessieren. Mexikanische Fotografen wie Graciela Iturbide und Manuel Alvarez Bravo haben mich inspiriert, in das Land zu reisen, dort zu fotografieren und schließlich auch zu leben. Es gibt auch aktuell wunderbare mexikanische Fotografen wie César Rodriguez, der ja auch vor Kurzem in der LFI veröffentlicht wurde.

Aktuell ist Heriberto Paredes ein Fotograf und lieber Freund, den ich verehre. Seine fotografische Arbeit ist brillant, aber sie macht nur einen kleinen Teil seiner Aktivitäten aus. Auch er arbeitet in indigenen Gemeinden und befasst sich mit den sozialen Fragen Mexikos. Sein ganzes Leben dreht sich darum, Aktivist, Journalist und Menschenrechtsverfechter der Gemeinden zu sein, in denen er arbeitet. Er fotografiert in erster Linie direkt für die Gemeinschaften, was eine echte Wende im Rollenbild des Fotojournalisten darstellt. Das ist äußerst bewundernswert. 

Interview: Danilo Rößger
Alle Bilder auf dieser Seite © Scott Brennan
Equipment: Leica M2, M6 und M9 mit Summicron-M 1:2/35 Asph und Summarit-M 1:2.4/50

Erfahren Sie mehr über das Projekt von Scott Brennan in LFI 3/2020.
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Scott Brennan © Cesar Ortiz (2)
© Cesar Ortiz

Scott Brennans Hauptinteresse gilt der Dokumentation indigener Gruppen in Lateinamerika und ihrem Kampf zur Verteidigung ihrer Territorien. Er schloss sein Studium 2005 mit einem Master in Fotojournalismus und Dokumentarfotografie am London College of Communications ab. Bislang hat er für die New York Times, Time und Organisationen wie Amnesty International gearbeitet. Seit 2010 lebt er in Mexiko. Mehr

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