Buch des Monats: Come Get Your Honey

Samet Durgun

16. August 2021

Leben und Ankommen in Berlin: ein empathischer Blick auf den Alltag von LGBTQIA+-Geflüchteten und -Asylsuchenden
Der Titel des wunderbaren Bildbands ist ein Versprechen, eine Hoffnung. Übernommen hat ihn der Fotograf von einem House-Popsong der schwedischen Sängerin Robyn. Und so soft, melodisch der House-Popsong durch die Ohren rinnen mag, so stark vor allem der vorantreibende Rhythmus genau für ein Lebensgefühl im heutigen Berlin stehen kann, so spiegelt er doch nur eine oberflächliche Seite der Alltagsrealität in der Metropole wider. Zu den eher übersehenen, oft versteckten Aspekten Berlins gehören die Schicksale der hier lebenden Flüchtlinge und Asylsuchenden, die nicht der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft angehören. Die Bildserie ist ein starkes Statement für diese Community. Berlin lebt noch immer vom Ruf großer Freiheiten und individueller Lebensentwürfe, trotz aller Härten, die spätestens bei der Wohnungs- oder Jobsuche auch hier existenziell sind. Immerhin gibt es in der Stadt aber auch eine der wenigen europäischen Unterkünfte für LGBTQIA+-Geflüchtete und -Asylsuchende. Im Umfeld dieser Community begann der Fotograf seine fotografische Serie und porträtierte Menschen, die sich als lesbisch, schwul, queer, bi-, trans-, inter- oder asexuell definieren.

Es ist ein sehr unmittelbarer, direkter und intimer Zugang, den Durgun mit seiner Kamera gefunden hat. „Was, wenn es bei der Fotografie mehr um Zuhören als um Sehen ginge?“, lautete eine der Ausgangsfragen für den Fotografen. Er nahm sich Zeit, begleitete den Alltag, war bei Festen, Ritualen und Treffen dabei. Er wurde zum vertrauten Gegenüber, das sich eben nicht auf Leid, Repression oder voyeuristische Zurschaustellung fokussierte, sondern die Porträtierten mit Respekt und Freundschaft auf ihren Wegen und an ihre Rückzugsorte in Berlin begleitete und so ganz selbstverständlich über Emanzipation und ausgelebte Individualität berichtet. „Ich habe tiefen Respekt vor Menschen, deren Identitäten so komplex und vielschichtig sind, dass der Kampf und die Kraft des Widerstands für diejenigen unsichtbar werden, die Zugang zu allem haben, was sie nicht haben: eine Familie, einen Job, Bildung, körperliche oder geistige Sicherheit, Sprache oder Reichtum“, so Durgun. Mit seiner Serie blickt er teilnahmsvoll auf seine Freunde und Bekannten, lässt sie aus der Unsichtbarkeit heraustreten und demonstriert in den Aufnahmen die Stärke und den Lebensmut all jener, die hoffen, in Berlin eine Zukunft und sichere Heimat zu finden.

In seinen Porträts bietet er den Dargestellten einen Freiraum: Oft im engen Ausschnitt, lässt er sie selbstbewusst in die Kamera blicken und in perfekter Licht- und Farbregie in ihrem Alltag aufscheinen. Zwischen diese Porträts sind in der Bilderfolge immer wieder Impressionen aus dem urbanen Umfeld gesetzt. Harte Architektur, raue Straßenszenen, aber auch poetische Hinterhofoasen werden hier zu Symbolbildern für die Vielschichtigkeit einer Millionenmetropole, die hinter den Fassaden ungeahnte Entdeckungen offenbart. Marianne Ager, Kuratorin für Fotografie am Kunstmuseum Brandts im dänischen Odense, vergleicht Durguns Arbeit in ihrem begleitenden Katalogessay mit der Fotografie von Christer Strömholm oder Nan Goldin, die ebenfalls wichtige Kapitel der Geschichte marginalisierter Gruppen dokumentierten. Durgun gehört einer neuen, zeitgenössischen Generation an; sein Buch ist ein gelungener Auftakt. (Ulrich Rüter)

Samet Durgun: Come Get Your Honey
Mit Essays von Amrou Al-Kadhi und Marianne Ager und einem Interview von Prince Emrah mit dem Fotografen.
144 Seiten, 75 Farbabb., 19 × 24 cm, Englisch
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ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Samet Durgun

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© Samet Durgun

Samet Durgun (*1988) lebt in Berlin. Er ist Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund und abchasischen Wurzeln. Er hat einen BA der Boğaziçi-Universität, Istanbul, Türkei. Als Immigrant der ersten Generation und autodidaktischer Künstler war er Gaststudent an der Universität der Künste Berlin (UdK) und nahm an deren Programm „Common Ground“ für Geflüchtete und Immigranten teil. Mehr

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