This is not a diary
This is not a diary
Rui Miguel Cunha
20. April 2020
LFI: Könnten Sie die Gegend beschreiben, in der Sie leben? Wie ist die Atmosphäre dort im Moment?
Rui Miguel Cunha: Sesimbra ist eine portugiesische Kleinstadt, 36 Kilometer von Lissabon entfernt. Wie viele Städte auf der ganzen Welt wirkt sie im Moment sehr verlassen. Die ersten Wochen der Pandemie waren sehr kritisch, denn niemand schien sich der Situation bewusst zu sein. Als die Regierung begann, die Schulen und andere Einrichtungen zu schließen, wurde uns das Ausmaß des Problems bewusst. Im Moment bleiben die meisten Menschen zu Hause und gehen nur für kurze Zeit vor die Tür – hauptsächlich, um Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Atmosphäre hier ist relativ ruhig, aber einige Menschen haben Angst vor der Zukunft.
LFI: In welcher Weise hat die gegenwärtige Situation Ihre Lebensweise verändert?
Ich bin zu Hause mit meiner Frau und unseren beiden Kindern, Leonor (8) und Francisco (5). Wir gehen nur nach draußen, um Lebensmittel zu kaufen, frische Luft zu schnappen und uns zu bewegen. Jeden Tag zu Hause zu bleiben, ist nicht das Tollste auf der Welt, aber ich glaube, wir tun unser Bestes. Wenn man all die Kriege auf der Welt bedenkt, ist es vergleichsweise einfach, zu Hause zu bleiben, um das Virus zu bekämpfen. Der Familie, den Freunden, der Arbeit und allem, was wir im normalen Leben tun, fernzubleiben, fällt natürlich schwer; aber wir müssen nun mal einige Opfer bringen, um weiterzukommen und am Leben zu bleiben.
Das Schlimme ist, dass ich meine 90 Jahre alten Eltern nicht sehen kann. Es gibt nur eine Person, die jeden Tag mit ihnen zu tun hat, und meine Schwester besucht sie nur zweimal pro Woche, um das Risiko zu minimieren. Aber positiv betrachtet: Jetzt ist die Zeit, aufeinander aufzupassen. Ich glaube, wir leben in einer Welt, in der es an Mitgefühl fehlt, und alles geht so schnell, dass sich niemand Zeit für seine Mitmenschen nimmt. Das ist also der Moment, um in sich zu gehen und der Welt zu beweisen, dass wir besser sein können, als wir es bisher waren.
LFI: Ihr aktuelles Fotoprojekt zeigt sehr berührende Familienaufnahmen. Wie kam es dazu?
Ich habe das Projekt This is Not a Diary unter drei Gesichtspunkten begonnen: Zum einen sah ich mich als Dokumentarfotograf in der Pflicht, die gegenwärtige Situation zu dokumentieren. Des Weiteren möchte ich meinen Kindern und meiner Familie ein Vermächtnis hinterlassen – sie verdienen nur das Beste. Und schließlich ist die Leica M eine Kamera, mit der ich gerne arbeite. Es ist eine Kamera, die mir LFI bis Mai zur Verfügung gestellt hat; aber ich kann derzeit nicht draußen arbeiten, also ist dieses neue Projekt eine großartige Möglichkeit, trotzdem zu fotografieren und auch danke zu sagen. Das Projekt hält meinen Blick auf eine positive Zukunft aufrecht. Die Arbeit mit und für meine Familie ist wie ein Geschenk. Natürlich fotografiere ich sie schon seit Ewigkeiten, aber jetzt ist ein ganz besonderer Moment für uns alle.
LFI: Wie denken Sie über die Zukunft?
Natürlich mache ich mir Sorgen über die Zukunft aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht; aber wir müssen an die Wissenschaft glauben und unseren neuen Zustand akzeptieren. Wir müssen die Mediziner und diejenigen respektieren, die sich jeden Tag an vorderster Front mit diesem Thema befassen. Wir müssen unseren Planeten und einander mit viel Liebe sehen. Wir müssen geduldig sein und hoffen, dass bald wieder neue Winde wehen. Seid vorsichtig, seid nett zueinander und bleibt sicher!
Interview: Danilo Rößger
Alle Bilder auf dieser Seite: © Rui Miguel Cunha
Ausrüstung: Leica M Monochrom mit Summilux-M 1:1.4/35 Asph
Rui Miguel Cunha+-
Rui Miguel Cunha wurde am 1. Juni 1976 in Lissabon geboren. Inspiriert vom Alltag verknüpft der Fotograf in seinem Werk dokumentarische Erzählweisen mit Elementen purer Street Photography. Mehr