Blick nach draußen
Blick nach draußen
Krass Clement
26. Mai 2023
Über 30 Jahre später hat der Fotograf noch einmal das während seiner irischen Künstlerresidenz entstandene Archiv gesichtet und den Bildband Belfast mit 114 bisher unveröffentlichten Aufnahmen publiziert. Der finstere Blick auf die Stadt verweist auf die Zeit, in der die Auswirkungen des Nordirlandkonfliktes im Bürgerkrieg zwischen den Milizen der Katholiken und der Protestanten überall erkennbar und spürbar waren. Mit seiner Leica fotografierte Clement schnell, bewegte sich dabei zügig durch die Straßen und scheint doch fast unsichtbar zu bleiben. Über allen Szenen dräut ein grauer Himmel, das regennasse Pflaster, die kantigen Bildausschnitte, die Flüchtigkeit aller Begegnungen fügen sich zu einem von Tristesse beherrschten Gesamtbild. „Die Aufenthalte waren sehr intensiv“, erinnert sich der Fotograf später, wobei seine Rolle des Beobachters auf der Straße für ihn typisch ist. „Ich gehe immer durch die Straßen und suche nach Bildern, die meinem eigenen Gemütszustand entsprechen – der Ort spiegelt irgendwie meine Gefühle von Einsamkeit und Melancholie wider.“ Für ihn ist die Straße „ein fantastischer Raum, in dem sich alles entfaltet, alles möglich ist und alles gesehen wird. Mit anderen Worten, die Straße offenbart Existenz. Wenn ich meine eigene Existenz abbilden will, kann ich einfach auf die Straße gehen und mich im Leben auf der Straße spiegeln. Das ist es, was Straßenfotografen tun. Auf diese Weise kommen sie der Realität näher, deren Teil sie sind“, berichtet Clement.
„In Belfast war der schwelende Konflikt zentral für meinen Eindruck von der Stadt. Überall hatte man das Gefühl, dass es einen imaginären Feind gibt.“ Die Bilder sind von schwerer Düsternis durchdrungen, der langsame Prozess der Annäherung der Konfliktparteien und die Hoffnung auf bessere Zeiten war noch am Anfang, und es vergingen weitere Jahre bis zum Karfreitagsabkommen, das im April 1998 die gewalttätigste Phase des Nordirlandkonflikts befrieden sollte. Mit dem Bildband katapultiert der Fotograf die Betrachtenden von heute in die schwierige Zeit des Bürgerkriegs jener Jahre zurück. Er verzichtet dabei auf jegliche textliche Erklärungen und zeigt Geschichte allein aus seinem subjektiven, stark emotionalen Blickwinkel.
LFI 4.2023+-
Weitere Bilder aus dem Buch Belfast finden Sie im LFI Magazin 4.2023. Mehr
Krass Clement+-
Geboren am 15. März 1946 in Kopenhagen, wuchs Krass Clement in Dänemark und Frankreich auf. Als Fotograf ist er Autodidakt. Nach einer ersten fotografischen Phase in Paris ließ er sich an der Nationalen Filmschule Dänemarks in Kopenhagen zum Regisseur ausbilden. Nach seinem Abschluss 1973 kehrte er zur Fotografie zurück. In großer Regelmäßigkeit veröffentlicht Krass Clement seine Aufnahmen in beeindruckenden Büchern. So sind seit 1978 über 25 Publikationen entstanden, darunter viele Serien, die sich auf einzelne Orte oder Städte beziehen. Einer seiner legendären Bildbände ist Drum, eine Serie, die nur in einer Nacht in einer ländlichen Kneipe in Irland entstand. 1997 erschien der Bildband Dublin beim Verlag RRB Photobooks, der auch das aktuelle Buch Belfast herausbrachte. Mehr