Indische Poesie
Indische Poesie
Johannes Barthelmes
18. Juni 2021
LFI: Eigentlich hat die Musik Sie zur Fotografie gebracht, wie kam es dazu?
Johannes Barthelmes: Vor über 20 Jahren musste ich mich aus gesundheitlichen Gründen von der Musik verabschieden. Das war schlimm und so gesehen hat mir die Fotografie das Leben gerettet. Denn ein Dasein zu fristen, ohne Kreativität leben zu können, war völlig unvorstellbar für mich. So entschloss ich mich nach einer ausgedehnten Südostasien-Tournee, angeregt vor allem von den intensiven Eindrücken, die ich in Vietnam erfahren habe, nun der Fotografie einen besonderen Stellenwert in meinem Leben zu geben. Es war mir von Beginn an klar, dass ich Menschen fotografieren will. Als Musiker kam ich viel in der Welt umher und es faszinierte mich, dass mir alle Menschen, denen ich ins Gesicht blickte, bekannt, ja vertraut waren …
Ihre Aufnahmen sind in Indien entstanden, was wollten Sie zeigen?
Indien hat so viele Geheimnisse, ich kenne mittlerweile einige wenige. In Indien gibt es alles in allergrößten Extremen. Es gibt die wunderbarsten Düfte, aber auch den schlimmsten Gestank, es gibt unvorstellbar große Reichtümer und bitterste Armut. Ich sah das Schönste und das Hässlichste, ich erlebte die größte Spiritualität und den am meisten ausufernden Materialismus. In Indien ist der Mensch häufig auf das reduziert, was er ist. Ein Mensch. Und das, was den Menschen ausmacht, das möchte ich gern zeigen.
Asien ist für seine Farbenpracht bekannt, Sie haben aber in Schwarzweiß fotografiert …
Ich ziehe die Schwarzweiß- der Farbfotografie vor. Sie ist per se schon ein Schritt in die Abstraktion, denn die Realität ist bunt. Und sie ist auch ein Schritt in die Reduktion. Die Kunst der Reduktion ist für mich eine Möglichkeit, das Geschehen noch stärker nach meiner Sicht zu gestalten. Zudem gerät die Farbfotografie bei der Farbenpracht Indiens leicht mal ins Effekthascherische.
Welche Kamera haben Sie für die Aufnahmen verwendet und wie hat sie sich bei Ihrer Serie bewährt?
Die hier gezeigten Bilder sind zwischen 2009 und 2018 entstanden. Ich habe sie mit meinem jeweiligen Equipment, das sich über die Jahre verändert hat, fotografiert: mit der Leica M8, der M9 und der Q. An den M-Kameras habe ich die Objektive Summicron-M 1:2/28 Asph, Summarit-M 1:2.5/35, Summarit-M 1:2.5/50 und Summarit-M 1:2.5/75 verwendet. Mit diesen Optiken und der Leica Q habe ich nicht nur eine ganz außerordentliche Bildqualität, sondern das allseits bekannte Erlebnis, dass der Protagonist wegen des kleinen, dezenten Arbeitsgeräts eben nicht befremdet reagiert und „zumacht“, wie das nicht selten bei einer großen schwarzen Maschine vor dem Gesicht des Fotografen geschieht. Und ich habe, wenn ich arbeite, beide Leicas umgehängt – unsichtbar unter dem Sakko und ich vergesse sie oft, weil sie sich dank ihrer angenehmen Haptik gewissermaßen anschmiegen.
Was haben Musik und Fotografie gemeinsam?
Für mich ist der Jazz in der Musikgeschichte das, was die Street Photography in der Geschichte der Fotografie ist. Street Photography ist der Jazz in der klassischen Fotografie. Schnelle Entscheidungen treffen, intuitiv handeln und vorausahnen. Und trotz schneller Kreationen – das ist ja nun mal Improvisation – dennoch eine gelungene Komposition abliefern. (Interview: Katja Hübner)
Alle Bilder auf dieser Seite: © Johannes Barthelmes
Johannes Barthelmes+-
Johannes Barthelmes ist Fotograf und Musiker, für ihn zwei verschiedene, aber gleichermaßen schöne Wege zum selben Ziel. 1953 in Speyer geboren, lebt er seit 1980 in Berlin. Nach einer gesundheitsbedingten Unterbrechung seiner musikalischen Aktivitäten wechselte er 1998 zur Fotografie. Seitdem hat er mit verschiedenen Leica-Kameras gearbeitet, die Wahl für die Leica ist für ihn eine absolute Überzeugungstat. Von Anfang an wollte er hauptsächlich Menschen fotografieren, Ausstellungen führten ihn nach Spanien, Kuba, Malaysia oder Indien. Seit dem vergangenen Jahr macht er wieder Musik – inspiriert von der Musikalität des kubanischen Volkes. Mehr