Buch des Monats: Ilse Bing

Ilse Bing

21. November 2022

Avantgardistin mit der Kamera: Ein neuer Bildband feiert das spannende fotografische Werk der Leica-Fotografin Ilse Bing (1899–1998).
Es ist ihr legendäres Selbstporträt, mit dem sie Geschichte geschrieben hat. Und wie kaum ein anderes Motiv ihres Werks zeigt es die perfekte Verbindung von Kamera und Fotografin und sollte ihr nicht zuletzt auch den Ehrentitel „Königin der Leica“ einbringen.

In ihrem 1931 in Paris fotografierten Selbstporträt mit Leica präsentiert sich Ilse Bing als präzise und experimentell arbeitende Fotografin. Inszeniert mit zwei Spiegeln, fasziniert das Foto bis heute nicht nur durch die Bildgestaltung, sondern vor allem auch durch seine Aussage über den fotografischen Akt an sich: die forschende Selbsterkenntnis zwischen Auge und Kamera, zwischen Nähe und Distanz. Natürlich darf auch diese Fotografie nicht in dem umfassend angelegten Bildband zum Werk der Fotografin fehlen, der die aktuelle Ausstellung der Fundación Mapfre in Madrid begleitet. Doch Bings Gesamtwerk hat viele weitere spannende Facetten.

Hervorragend bietet der bei Dewi Lewis publizierte Bildband einen chronologischen und thematischen Überblick über Bings intensives Schaffen. Zweifellos gehört sie zu den wichtigsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts, denn vor allem ihre wegweisenden Motive aus der Zwischenkriegszeit zeigen eine moderne Vision, geprägt vom Neuen Sehen, beeinflusst aber auch vom Surrealismus.

Als der Fotograf und Kritiker Emmanuel Sougez 1932 in einer Ausstellungsbesprechung ihr den Ehrentitel der „Königin der Leica“ verlieh, war Bing gerade im Begriff, sich als erfolgreiche Fotografin in Paris durchzusetzen. Ihr Weg dorthin verlief nicht geradlinig – die Autodidaktin hatte über ihre akademischen kunsthistorischen Studien zur Fotografie gefunden: Eigentlich wollte sie über den deutschen Architekten Friedrich Gilly promovieren; aus der Dokumentation seiner Werke entwickelte sich aber eine grundsätzliche Leidenschaft für die Fotografie. Spätestens mit dem Erwerb ihrer ersten Leica 1929 war der Weg zur Fotografin eingeschlagen, und erste Erfolge und Veröffentlichungen führten schließlich zur Aufgabe des Dissertationsprojekts. Von Frankfurt am Main zog sie Ende 1930 nach Paris und widmete sich dort unterschiedlichsten Themen und Aufträgen. Neben den freien Arbeiten, vor allem Erkundungen der französischen Metropole, publizierte sie weiterhin Reportagen, arbeitete als Werbefotografin und hatte erste Ausstellungen.
Nach der Besetzung von Paris durch die deutsche Wehrmacht und ihrer Internierung im Süden Frankreichs gelang Ilse Bing zusammen mit ihrem Mann, dem Pianisten und Musikwissenschaftler Konrad Wolff, 1941 die Emigration in die USA. Mit Porträts und Modeaufnahmen und späteren Reportagen führte sie in New York ihre Arbeit fort, setzte ab Anfang der 1950er-Jahre verstärkt auf eine Rolleiflex, bis sie 1959 die Fotografie ganz aufgab. Doch sie blieb eine gefragte Zeitzeugin, denn seit den 1970er-Jahren, als sie zum ersten Mal im MOMA in New York ausstellte, wuchs das Interesse an ihrem Werk und allgemein an der europäischen Fotografie der 1920er- und 1930er-Jahre immer weiter. Als eine der wichtigsten kreativen Kräfte dieser Zeit konnte Bing sehr persönlich über die Fotografie jener Jahre und die Entwicklung der modernen Kunst Auskunft geben.

Der nun vorliegende Bildband zeigt die wichtigsten Motive ihres fotografischen Werks und erläutert die wesentlichen Stationen, das Umfeld sowie ihr persönliches Netzwerk und fundiert ihre Bedeutung als selbstbewusste und stilprägende Fotografin. 

Ilse Bing
Mit Texten von Juan Vicente Aliaga, Benjamin Buchloh und Donna West Brett.
296 Seiten, 160 Schwarzweißabb.
30 × 24 cm, Englisch
Dewi Lewis

Die Ausstellung in der Fundación MAPFRE in Madrid läuft noch bis zum 8. Januar 2023.
Ulrich Rüter
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Ilse Bing

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Autorretrato [Self-portrait], 1934

Geboren am 23. März 1899 in Frankfurt. Beginnt zunächst ein Mathematik- und Physikstudium, wechselt dann zur Kunstgeschichte. Für ihre Dissertation kauft sie sich ihre erste Kamera, eine 9 × 12 Voigtländer-Plattenkamera. 1929 Abbruch der akademischen Karriere; sie erwirbt eine Leica und veröffentlicht erste Reportagen. Ende 1930 Umzug nach Paris. 1937 Heirat mit dem Pianisten Konrad Wolff. 1940 Internierung in Gurs, über Marseille Emigration nach New York City. 1959 Aufgabe der Fotografie. Am 10. Marz 1998 stirbt Ilse Bing in New York. Mehr

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