Buch des Monats – Yalla Habibi

Hosam Katan

27. Dezember 2017

Den Überlebenden eine Stimme geben, den Alltag im Grauen zeigen: der Bildband des syrischen Bildjournalisten Hosam Katan (*1994) ist ein ergreifendes Dokument.
Aleppo ist nach Damaskus die zweitgrößte Stadt Syriens und war schon immer nicht nur von großer historischer und kultureller, sondern vor allem auch wirtschaftlicher Bedeutung. Geteilt und zerrissen zwischen den Regimetruppen von Machthaber Baschar al-Assad und verschiedenen Rebellengruppen war Aleppo seit Sommer 2012 einer der dramatischsten Kriegsschauplätze des Landes. Heute liegen große Teile der Stadt in Trümmern. Als direkter Augenzeuge des Bürgerkriegs hat Katan das Leiden der Zivilbevölkerung im Ostteil seiner Heimatstadt dokumentiert.

Die Fotografien entstanden zwischen 2013 und 2015 und sind unmittelbare Momentaufnahmen der zwiespältigen und widersprüchlichen Erfahrungen und Emotionen der Menschen. Wie kann Alltag überhaupt stattfinden in der permanenten Ausnahmesituation des Krieges? Mit Yalla Habibi, was auf Arabisch in etwa bedeutet „Los, mein Schatz“, zeigt der Fotograf den Überlebenswillen der Bewohner, die mit Beharrlichkeit und Erfindungsreichtum versuchen, die Situation zu meistern und zu überleben. Die Aufnahmen sind direkt und schonungslos, zeigen Kriegsopfer und die Emotionen der trauernden Überlebenden. Daneben zeigt der Bildband Jugendliche beim Baden in Bombentrichtern, einen Mann, der sich um streunende Katzen kümmert oder einen improvisierten Gemüsestand inmitten der Trümmer. Kinderspiel, Freude, Wut, Trauer, Verzweiflung liegen nahe bei einander, so wie sich in jeder Sekunde die Situation der belagerten Stadt ändern kann.

Mit seinen Aufnahmen will der Fotograf die Sichtbarkeit der Eingeschlossenen erhalten: „Ich fühlte die Verantwortung zu dokumentieren, was um mich herum geschah. Da viele internationale Nachrichtenorganisationen aus Sicherheitsgründen aus dem Land zogen, wurde mir klar, wie wichtig es ist, die Ereignisse und Menschen in Aleppo nicht ungesehen zu lassen.“ Gewidmet ist das durch eine Kickstarter-Kampagne vorfinanzierte Buch der deutschen Fotografin Anja Niedringhaus, die 2014 in Afghanistan erschossen wurde – ihr Ansatz, auch den Alltag in Kriegszeiten zu dokumentieren, war Hosam Katan Vorbild und Ansporn zugleich. Ulrich Rüter

Hosam Katan: Yalla Habibi. Living with War in Aleppo
152 Seiten, 80 Farbabb., Englisch, 24 × 32 cm, Kehrer Verlag
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Hosam Katan

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Hosam Katan (*1994) begann bereits mit 18 Jahren als Fotograf für das Aleppo Media Center zu arbeiten. Kurze Zeit später verbreiteten sich seine Aufnahmen über die Agentur Reuters und wurden in zahlreichen internationalen Magazinen publiziert. 2015 wurde er schwer verletzt und verließ Syrien Ende 2015 über die Türkei und kam nach Deutschland, wo er heute an der Hochschule Hannover Fotojournalismus studiert. Seine Arbeit wurde unter anderem mit dem Ian Parry Special Award 2014 und dem Ian Parry Award 2015, beim Andrei Stenin International Press Photo Contest 2015, mit dem Nannen-Sonderpreis, einem Sonderpreis für Fotografie der Deutsche Börse Photography Foundation, dem PX3 Prix de la Photographie Paris 2017 und dem Felix Schoeller Photo Award 2017 ausgezeichnet. Mehr

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