Fake-Story, Fake-Images: The Book of Veles in der Diskussion

5. Oktober 2021

Der norwegische Fotograf Jonas Bendiksen bekennt sich zu den von ihm bewusst manipulierten Aufnahmen, die in seinem letzten Buch veröffentlicht wurden.
Erinnern Sie sich noch an den freundlich lächelnden Brückenpfeiler, mit dem wir in der LFI-Ausgabe 6 das neue Buch von Jonas Bendiksen präsentiert haben? Sein The Book of Veles wurde von uns in der Besprechung als „kluge, unterhaltsame, gleichwohl erschreckende Lektion über die Möglichkeiten digitaler Desinformation“ vorgestellt. Wie weitreichend die Manipulation ging, hat der Magnum-Fotograf nun, Monate nach Erscheinen des Buches, in einem Interview auf der Seite seiner Bildagentur offengelegt, um damit eine weitergehende Diskussion anzustoßen. Der Titel des Interviews lautet schlicht: „Wie Jonas Bendiksen die Fotobranche austrickste“, doch es geht um weit mehr als einen geschickten Coup – es geht um nichts weniger Grundsätzliches als das Vertrauen in die Echtheit und die Authentizität bildjournalistischer Fotografien.

Zum Hintergrund: Ausgehend von den Informationen, dass die Trump-Wahl 2016 durch Hunderte von Fake-News-Websites manipuliert wurde, die ihren Ursprung in der nordmazedonischen Stadt Veles hatten, recherchierte Bendiksen gründlich zum Thema und reiste zweimal in diese Stadt, um dort zu fotografieren. „Wie bei meinen anderen Projekten ist die Fotografie für mich immer nur ein Werkzeug oder ein Vorwand, um mich kopfüber in das zu stürzen, was mich gerade fasziniert. Das war meine Chance, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, wo Journalismus, Manipulationen, Fälschungen, Fake-News und Fotografie ineinander übergehen – und vielleicht zu versuchen, ein wenig über den Tellerrand des Ereignisses hinauszuschauen und mir vorzustellen, wohin das alles führen könnte“, so Bendiksen im Magnum-Interview: „Ich begann, mir die Frage zu stellen, wie lange es dauern wird, bis wir ‚dokumentarischen Fotojournalismus‘ sehen, der keine andere Grundlage in der Realität hat als die Fantasie des Fotografen und eine leistungsstarke Computergrafikkarte? Werden wir in der Lage sein, den Unterschied zu erkennen?“ Bendiksen entschloss sich, seine Kollegen und die Fotowelt auf die Probe zu stellen, indem er seine in Veles aufgenommenen Bilder veränderte. Die realen Fotografien zeigten keine Menschen – das Buch ist aber von zahlreichen Passanten, angeblichen Bloggern und sogar Bären, die am Stadtrand umherstreifen, bevölkert. Aufwendig hatte der Fotograf Avatare geschaffen, die nun seine Bilder ergänzten. Selbst den einleitenden Text ließ er von einer künstlichen Intelligenz verfassen. So entstand eine Fake-News-Geschichte über Fake-News-Produzenten. Eingeweiht waren bis zur Veröffentlichung nur seine Frau und der Verleger.

Überrascht war Bendiksen dann allerdings, dass nach dem Erscheinen des Buches niemandem die Täuschung auffiel. Er ging einen Schritt weiter und präsentierte das Projekt vor Fachpublikum auf dem renommierten Fotofestival in Perpignan. Aber erst mit dem aktiven Schritt, sein Vorgehen im Magnum-Interview zu erläutern, hat er sich selbst enttarnt. Bendiksen wird sich nun vermutlich intensiver erklären müssen, hat er doch das Grundvertrauen in den engagierten Bildjournalismus erschüttert. „Ich denke, dass ich auf kurze Sicht die Glaubwürdigkeit meiner Arbeit in gewisser Weise untergraben habe, da ich gelogen und selbst Fake-News produziert habe. Aber ich hoffe, dass es als ein Schritt zurück und zwei Schritte vorwärts gesehen wird – und dass dieses Projekt den Menschen die Augen dafür öffnet, was vor uns liegt und auf welches Gebiet sich die Fotografie und der Journalismus zubewegen“, so Bendiksen. Selbst ihm fiele es immer schwerer, Echtes von Falschem zu unterscheiden, räumt der Fotograf ein.

Der Stresstest für den aktuellen Bildjournalismus ist nicht gut ausgefallen, mit umso mehr Skepsis sollte man in Zukunft journalistischen Bildgeschichten entgegentreten. Bären und lächelnde Brückenpfeiler sind dabei noch die harmloseren Varianten.
Ulrich Rüter

The Book of Veles+-

148 Seiten, 65 Farbabb. u. 19 historische Reproduktionen
22,0 × 16,5 cm, Englisch
Gost

 

Fake-Story, Fake-Images: The Book of Veles in der Diskussion