Hinter dem Pilgerzelt

Emily Garthwaite

24. September 2021

Die Fotografin spricht über eine der ersten Aufnahmen, die sie im Irak machte und die gleichzeitig ihre zukünftige Karriere prägen sollte.
„Dieses Foto aus dem Jahr 2017 war ein entscheidender Moment in meiner Karriere. Es ist eines der ersten Fotos, die ich im Irak gemacht habe, einem Land, in das ich inzwischen umgezogen bin und in dem ich über vier Jahre lang gearbeitet habe. Es spiegelt eine junge Fotografin wider, die die komplexe Geschichte des Iraks kennenlernt. Eine Fotografin, die sich damit auseinandersetzt, wie man sensible Geschichten visuell erfassen kann und wie man enge Beziehungen zu Gemeinschaften, Familien und Einzelpersonen aufbaut.

Die Kinder spielen in ihrem Garten in Al-Hilla, Irak. Sie befinden sich hinter einem Pilgerzelt aus gespannter ungebleichter Baumwolle, das während der Al-Arba‘in-Pilgerfahrt, der größten jährlichen Pilgerfahrt der Welt, aufgestellt wird. Sie ist sowohl für die schiitischen Gemeinschaften als auch für den Irak selbst von großer Bedeutung. Jedes Jahr nehmen bis zu 25 Millionen schiitische Muslime an der Ziyara [Pilgerfahrt] teil und kommen im Süden des Landes zusammen, um das Ende einer 40-tägigen Trauerzeit zu begehen. Die Pilger kommen aus der ganzen Welt, um die 50 Meilen zwischen den heiligen Städten Nadschaf und Kerbala zurückzulegen.

25 Jahre lang war die Al-Arba‘in-Pilgerfahrt unter der Herrschaft von Saddam Hussein verboten, und diejenigen, die dabei erwischt wurden, wurden inhaftiert. Nach dem Sturz Saddams im Jahr 2003 durften die Pilger die Pilgerfahrt wieder aufnehmen – zweifellos mit einigen Befürchtungen. Die Familie der hier abgebildeten Kinder war eine von Tausenden einheimischer Familien, die ihr Leben riskierten, um ihre Häuser für Pilger zu öffnen, die unter Saddams Regime heimlich die Pilgerfahrt unternahmen. Sie versteckten die Pilger in ihren Häusern im Dickicht der Dattelpalmen und markierten ihre Häuser sogar, um den Pilgern, die nachts unterwegs waren, ihre Unterstützung zu signalisieren. Auch heute noch öffnen Iraker zwischen Nadschaf und Kerbala und darüber hinaus ihre Häuser für müde Pilger und bieten ihnen kostenlos frische Mahlzeiten, Wasser und viele andere Annehmlichkeiten an. Ich erfuhr, dass einige Familien bis zu zwanzig Prozent ihres Jahreseinkommens beiseitelegen, um die Kosten für die Verpflegung und Betreuung der Pilger während der 40-tägigen Pilgerfahrt zu decken.

Die Gastfreundschaft ist das Herzstück der irakischen Kultur und hat mein Verständnis für die Region geprägt. Fotografien fördern die Erinnerung daran, und in diesem Fall ist es eine wunderschöne Erinnerung, die ich bis heute bewahre.“
Text und Bild: © Emily Garthwaite
EQUIPMENT: Leica M (Typ 240) mit Summicron-M 1:2/35 Asph

LFI 7.2021+-

Emily Garthwaites Portfolio Guardians of the Zagros finden Sie im LFI Magazin 7.2021. Mehr

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© Emily Garthwaite

Die Fotografin und Geschichtenerzählerin konzentriert sich auf humanitäre und ökologische Fragestellungen, wobei sie Themen wie Zwischenmenschlichkeit, Religion, Koexistenz und Vertreibung verknüpft. Seit 2017 ist sie mehr als 650 Kilometer zu Fuß durch den Irak gereist, um das Land und seine Menschen zu fotografieren. Sie hat einen Masterabschluss in Dokumentarfotografie und Fotojournalismus und lebt derzeit im Irak. Mehr

 

Hinter dem Pilgerzelt

Emily Garthwaite