Unendliche Einsamkeit

Emanuele Scorcelletti

1. August 2023

Noch immer fasziniert die Figur der Madame Butterfly die Kunstwelt – der Italienische Fotograf Manuele Scorcelletti widmet Cio-Cio-San ein fotografisches Gedicht, das ihre Seele nahezu zeit- und raumlos einzufangen scheint.
LFI: Welche Bedeutung hat die Figur der Madame Butterfly heute?
Emanuele Scorcelletti:
Die Heldinnen der klassischen Opern sind zeitlose Figuren, die universelle Ideale verkörpern, die auf jede Epoche übertragen werden können. In der heutigen Zeit verkörpert die junge Madame Butterfly die Kraft, sich einem anderen völlig hinzugeben, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Diese Puccini-Figur zeichnet sich durch ihre edle Bescheidenheit aus, eine Eigenschaft, die in unserer Zeit so schwer zu finden ist. Madame Butterfly ist eine wunderbare Figur, sie gibt ihre eigene Identität für einen Menschen auf und widmet ihr ganzes Leben dem Warten auf seine Rückkehr. Mir gefällt die Zartheit dieser Figur, die mutig ein enttäuschtes Warten lebt und bis zum Ende eine stolze Würde bewahrt.

Warum haben Sie sich dieser Heldin fotografisch genähert – und wie?
Ich dachte, dass eine Schwarzweißserie mit der Leica M Monochrom die Sensibilität dieser weiblichen Seele zum Leben erwecken könnte. Die Zartheit und gleichzeitig die Stärke der weiblichen Figur sind in meiner Arbeit immer präsent, und als sich die Gelegenheit ergab, mit den Bregenzer Festspielen zusammenzuarbeiten, beschloss ich, das Projekt mit Maria Olimpia Renna – einer jungen Sopranistin im Alter von Madame Butterfly – umzusetzen. Gleichzeitig wollte ich der japanischen Kultur huldigen, auf der das gesamte Drama aufbaut, indem ich die fotografische Erzählung in die drei Akte der Oper unterteilte und jeden einzelnen mit den Elementen der Natur kombinierte.

Wie halten Sie den Verlust fotografisch fest?
Mit einer besonderen Technik habe ich versucht, in den Bildern des Projekts alle Nuancen der Seele der Protagonistin wiederzugeben, die trotz des Dramas des „Verlusts“ nie ihre elegante, zarte Würde aufgibt. Die nuancierten Farbtemperaturen des Lichts, die von meiner Leica-Kamera durch signifikante Grauabstufungen in Bilder umgesetzt wurden, machen die Aufnahmen malerisch. Das Licht wird zum Mittel, um die Realität zu interpretieren, die fließend und flüchtig wird, als würde sie in einer magischen Atmosphäre schweben. Die Motive verlieren ihre Form, das Drama wird in die „verlassene Unendlichkeit“ von Madame Butterflys Seele übersetzt. Mit jeweils einer einzigen Aufnahme der Leica M Monochrom sind die Bilder ohne jegliche Retusche in der Nachbearbeitung entstanden.

Wie war Ihre Erfahrung mit der Kamera?
So wie die Impressionisten versuchten, die Unmittelbarkeit und Magie des Lichts auf der Leinwand wiederzugeben, erlaubt mir die Leica, das Licht durch ein mechanisches Medium bildlich darzustellen. Dies ist der Sensibilität dieser Kamera zu verdanken, die es mir möglich macht, durch sorgfältiges Studium des Lichts den allmählichen Übergang vom tiefsten Schwarz zum intensivsten Weiß zu gestalten. Ich benutze meine Leica wie einen Pinsel, sodass die unbestimmten, weichen Linien, die dank der unendlichen Graunuancen entstehen, in dieser Serie an japanische Flüssigkeiten und Tinten erinnern.
Katja Hübner
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Emanuele Scorcelletti
EQUIPMENT: Leica M Monochrom mit Summilux-M 1:1.4/50

Emanuele Scorcelletti+-

International bekannt für seine Fotografien von Film- und Modestars, arbeitet der Italiener – von 1989 bis 2009 Mitglied der Agentur Gamma – derzeit als Freiberufler. Im Jahr 2003 wurde er für ein Foto von Sharon Stone bei den Filmfestspielen von Cannes mit dem World Press Photo Contest in der Kategorie „Kunst und Kultur“ ausgezeichnet. Seine fotografischen Recherchen konzentrieren sich auch auf soziale Projekte, darunter die Reportage Spirits of the Trees, die einem Pflanzungsprogramm im indischen Bundesstaat Tamil Nadu gewidmet ist. Mehr

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