Seesener Straße
Seesener Straße
Andreas Schmidt
25. März 2022
LFI: Was fasziniert Sie am Treiben in diesem Teil Berlins, was macht es charakteristisch?
Andreas Schmidt: Die Alltäglichkeit! Das Wohnen und Arbeiten, Handel, Handwerk, Industrie, Verweilen, Begrüßen und Verabschieden, Leises und Lautes. So, wie ich es von meinem Leben auch kenne und mag. Im Gespräch mit den Menschen erfahre ich dann schnell mehr: Dass der schüchterne Familienvater etablierter SAP-Berater ist, dass der wilde Rocker als Radiomoderator hinterm Mikro sitzt, dass der gut geschneiderte Anzug zum zukünftigen Lehramtsstudiums-Outfit gehören wird, oder dass der Bauarbeiter sich für Digitalfotografie begeistert und offen für einen Tipp ist, wo es in der Nähe MicroSD-Karten gibt. Hinter jedem der Fotos steckt für mich eine angenehme Begegnung mit kleiner Geschichte.
Nach welchem Prinzip haben Sie ihre Motive ausgewählt, in welchen Situationen drücken Sie den Auslöser?
Gerade das Schöpferische macht für mich das Faszinierende an der Fotografie aus: Ich gestalte ein Bild, von dem ich selber vorher nicht wusste, dass es wenige Momente später Wirklichkeit ist. Intuition ist dabei mein entscheidender erster Impuls. Mir macht es immer wieder große Freude, hinzuschauen, Überraschungen zu erleben, Strukturen, Gefühle und Bewegung wahrzunehmen und dann mit Bewusstsein am entdeckten Motiv zu bleiben. Das Auslösen des Verschlusses gehört genauso dazu wie das Betrachten der Ergebnisse.
Haben Sie fotografische Vorbilder?
Ja, für mich gibt es zahlreiche – insbesondere Fotografen, die sich in Bewegung gesetzt haben und beim Fotografieren aktiv auf andere zugegangen sind, wie Henri Cartier-Bresson, die Fotografen des Sterns in den 60ern und 70ern, Ara Güler, Evelyn Richter, Harald Hauswald, Jim Rakete, Barbara Klemm, Anton Corbijn, und auch die Bildsprache von Magazinen wie dem der Süddeutschen Zeitung oder Brand Eins. Und viele grandiose Kolleginnen und Kollegen, die sich unter anderem auf Instagram tummeln.
Noch wichtiger finde ich, sein eigenes Vorbild zu sein und sich mit den eigenen Ergebnissen zu beschäftigen. Jedem Fotografierenden kann ich daher ungefragt den Tipp geben, sich immer wieder die eigenen Aufnahmen anzuschauen, das Bild um 180 Grad zu drehen, die grafische Gestaltung der Aufnahme unter die Lupe zu nehmen, und sich zu fragen: „Ist da Ruhe, Kraft, Klarheit in dem, was ich gestaltet habe?“
Wie hat sich die Arbeit mit der Leica M-P gestaltet?
Die Serie habe ich mit der M-P (Typ 240) und dem Summilux-M 1:1.4/50 Asph. bei offener Blende gemacht. 95 Prozent meiner Aufnahmen mache ich mit dieser „realitätsnahen“ 50er-Brennweite. Diese Kombination und ein, zwei, drei weitere Objektive von 28 mm bis 90 mm sind bei mir fast immer dabei. So kann ich in vielen Momenten meines Lebens wie nebenbei Bilder entstehen lassen. Mir gefällt das reduzierte, klare, kräftige Industriedesign von Leica. Mit Leica M-Kameras und M-Objektiven kann ich dadurch in ruhiger und gelassener Weise handwerklich sauber arbeiten. Leica-Objektive zeichnen phänomenal gut – mit sehr schönem Bokeh und überragender Schärfe auf den Punkt bis in die Bildecken. Das zeigt sich besonders bei Prints, die ich in der Größe 50 × 75 cm anfertigen lasse. Was ich am M-System auch sehr schätze: Digitales und analoges Arbeiten kann ich hier leicht kombinieren. Will ich das Raue, Ursprüngliche der analogen Fotografie nutzen, nehme ich anstelle der digitalen M-P die analoge M6. Film rein und los geht’s!
Andreas Schmidt+-
Andreas Schmidt, Jahrgang 1968, ist in Westfalen aufgewachsen und seit seiner Jugend fotografisch aktiv. Nach dem Studium in Münster verschlug es ihn nach Wien, Leipzig und Essen. Seit vielen Jahren veröffentlichen überregionale Zeitungen und Magazine seine Aufnahmen; unter anderem das Beat Magazin, Der Tagesspiegel (Berlin), die Märkische Allgemeine (Potsdam), die Freie Presse (Chemnitz), die Nürnberger Nachrichten, die Wiener Zeitung oder Zeit online. Mehr