Buch des Monats: Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion

16. August 2022

Fotografiegeschichte aus einer anderen Perspektive: Welche Materialien und welche Rohstoffe sind und waren für die Fotografie notwendig? Wie ist es mit der Gewinnung oder der Entsorgung der Stoffe? Und was hat das mit dem Klimawandel zu tun? Spannende Antworten liefert ein aktuelles Buch.
Woher stammt das Kupfer einer Daguerreotypie mit dem Porträt Alexander von Humboldts? Woher die Pigmente der Gummidrucke der Brüder Hofmeister? Welche globalen Zusammenhänge gibt es zwischen den Rohstoffen und künstlerischen Objekten? Das Buch, das die gleichnamige Ausstellung begleitet, präsentiert die Materialgeschichte zentraler Rohstoffe im Kontext der Fotografie und stellt überraschend vielfältig den Zusammenhang zu globalen Problemstellungen her.

Manchmal reicht ein historisches Werbemotiv aus, um komplexe Zusammenhänge aufzuzeigen, wie beispielsweise das Bild, das den gut gefüllten Kodak-Tresorraum dokumentiert. Mitte des 20. Jahrhunderts lag der zweitgrößte Silberschatz der USA in den Unternehmensräumen von Kodak. Nur die Nationalbank bunkerte noch mehr Silberbarren als das Fotounternehmen. Kein Wunder, war der Silberverbrauch bei Kodak doch enorm: Der tägliche Bedarf belief sich auf ungefähr zwei Tonnen. Ein echter „Silberschatz“ also, der entsprechend gesichert werden musste. Die übliche Reserve, die die Herstellung von Film und Fotopapier sicherstellte, hatte einen damaligen Wert von 3,5 Millionen Dollar. Das Edelmetall war die Grundlage für den längsten Abschnitt der Fotografiegeschichte, war Fotografie doch lange Zeit nichts anderes als „in Silber gezeichnetes Licht“. Das Silber kam Mitte des 20. Jahrhunderts zu etwa 80 Prozent aus Nord- und Südamerika: aus Kanada, den USA, Mexiko und Peru. Sozio-ökonomische und ökologische Umwälzungen waren die Folge. Das industrielle Massenmedium sorgte allerdings für gravierende Umweltprobleme nicht nur beim Abbau, sondern auch bei der Verarbeitung vor Ort, unzählige Chemikalien verschmutzen vor allem rund um das Kodak-Werk die Umwelt.

Silber ist nur ein Beispiel für die komplexen Zusammenhänge, denn seit ihrer Erfindung ist die Fotografie abhängig von der Gewinnung und Ausbeutung natürlicher Rohstoffe. Insgesamt fünf Kapitel widmen sich dem Material: Neben Silber geht es um Kupfer (und frühe Daguerreotypien), um Stoffe wie Kohle und Bitumen für die Druckverfahren, um Papier als Trägermaterial und seltene Erden für die immer kleiner werdenden Kameras und Smartphones. Doch neben der Materialgeschichte bietet das Projekt auch ausreichend visuelles künstlerisches Anschauungsmaterial: Ausgehend von Fotografien aus historischen Sammlungen, schlägt die Ausstellung erfreulich anregend einen Bogen zu zeitgenössischen Positionen, die eine weitere Ebene beleuchten, wie das Medium tief in die vom Menschen verursachten Veränderungen der Natur verwickelt ist. Darunter sind künstlerische Positionen von Ignacio Acosta, Lisa Barnard, F&D Cartier, Susanne Kriemann, Mary Mattingly, Optics Division of the Metabolic Studio, Lisa Rave, Robert Smithson, Simon Starling, James Welling und Tobias Zielony zu sehen.

Auch wenn man keine Gelegenheit hat, die Ausstellungen mit ihren überraschenden Exponaten und Installationen zu besuchen, entwickelt der begleitende Bildband ein spannendes Erkenntnisfeld jenseits des künstlerischen und musealen Objekts. Schlüssig zeigt sich, dass die Entwicklung der Fotografie nie unabhängig vom weltweiten Rohstoffhandel und Raubbau an Mensch und Natur stattgefunden hat. Und gleichzeitig kann die Fotografie genau diese unlösbare Verbindung sichtbar machen. Sie dokumentiert und reflektiert die rücksichtslose Ausbeutung der Welt, stellt Fragen zur Geschichte von Kolonialismus und Kapitalismus, zur Selbstreflexion der Bildproduzenten und zur Verantwortung der Konsumenten und Nutzer des Mediums. Eine spannende Einladung, hinter die Oberflächen der Fotografien zu schauen. (Ulrich Rüter)

Die Publikation erscheint anlässlich der gleichnamigen Ausstellung, konzipiert von Boaz Levin und Esther Ruelfs. Das Projekt ist eine Kooperation von dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg mit dem Kunst Haus Wien und dem Gewerbemuseum Winterthur.
Die Ausstellungsdaten:
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: bis 31. Oktober 2022
Kunst Haus Wien: 11. März bis 28. Mai 2023
Gewerbemuseum Winterthur: 22. September 2023 bis 21. Januar 2024
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