Urbane Abstraktionen

Sabine Wild

29. August 2022

„Ich zerstöre Architektur und verwebe sie aufs Neue.“ Sabine Wild spricht über eine ganz außergewöhnliche Form der Bildbearbeitung.
Bei Sabine Wild verschwimmen die Grenzen zwischen analog und digital: Ihre Aufnahmen von Megacitys wie New York, Las Vegas, Peking oder Hongkong schneidet sie auseinander und verwebt sie anschließend wieder zu einzigartigen Kunstwerken. Im Interview spricht sie über die Schönheit haptischer Bildbearbeitung.

LFI: Sie verfolgen einen ungewöhnlichen Ansatz der fotografischen Verfremdung...
Sabine Wild: Ich verfremde meine Arbeiten seit vielen Jahren digital am Rechner, indem ich Stadträume von Megacitys durch die Kombination von unscharfen und scharfen Partien des Bildes abstrahiere, fragmentarisiere und vorhandene Strukturen auflöse. Die Idee, diese Art der Abstraktion auf analoge Art und Weise umzusetzen, und zwar in Form einer uralten Kulturtechnik – des Webens – habe ich seit Jahren. In der Coronazeit kam ich im Sommer 2021 dazu, mit den ersten Versuchen zu starten. Entgegen der Arbeit am Rechner ist das Verweben ein schöner haptischer Prozess. Normalerweise versucht man zu vermeiden, eine Fotografie anzufassen, und wenn, dann nur mit Handschuhen. Hier hingegen geht es richtig zur Sache: schneiden, drücken, pressen, schieben.

Wie geht diese Abstraktion konkret vonstatten?
Ich drucke ein identisches Motiv zweimal aus, schneide das eine in vertikale, das andere in horizontale Streifen und verwebe diese miteinander. Dabei spiele ich mit unterschiedlichen Breiten der Streifen. Durch das Einweben entsteht ein Versatz von ca. 5 mm je Streifen, sodass am Ende von der zweiten Fotografie ein breiter Streifen übrig bleibt. Je weiter ich webe, desto mehr entfernen sich die Motive der eingewebten Streifen voneinander. Stellen des Bildes werden verdeckt oder wiederholen sich anderswo. Ich entscheide vorher, ob ich von oben nach unten oder von links nach rechts webe; dementsprechend verschiebt sich das eingewebte Bild nach unten oder zur Seite und entfaltet eine andere Wirkung.

In den ersten Monaten habe ich alle Streifen bis zum Schluss eingewebt. Inzwischen variiere ich das Verfahren, indem ich mehrere Streifen überdecke, nicht zu Ende webe, oder auch zwei unterschiedliche Fotografien miteinander verwebe. Durch diese Technik entstehen Unikate; denn niemals könnte ich ein solches Bild auf identische Art und Weise reproduzieren. Immer wieder bin ich überrascht, wie ein solches ineinander gewebtes Duo am Ende aussieht – ich kann die entstehende Wirkung nie vorhersehen. Für mich mündet dieser Prozess in eine genauere Wahrnehmung der Gebäudearchitektur; mein Blick wird auf die Details zentriert. Linien und Formen fallen auseinander, die Bildebene bricht auf und erlaubt – so scheint es mindestens – den Blick auf etwas „dahinter“.

Wie gestaltete sich die Arbeit mit der Leica M während des Projekts?
Ich finde die gestochen scharfen Aufnahmen der Leica M mit ihrer unglaublichen Detailgenauigkeit auch über große Distanzen hinweg umwerfend. Gerade vor wenigen Tagen bin ich auf die Leica M11 umgestiegen und absolut begeistert.
Danilo Rößger
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Sabine Wild
EQUIPMENT: ​​​​​​​Leica M (Typ 240) mit Summilux-M 1:1.4/35 Asph

Sabine Wild+-

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© Enno Schramm

Sabine Wild, geb. 1962 in Padua, Italien, lebt und arbeitet seit 1985 in Berlin. Nachdem sie Germanistik, Linguistik und Spanisch in Bielefeld, Münster, Köln und Berlin studiert hat, ist sie seit 2003 als freie Fotografin tätig. 2005 war sie eine Mitbegründerin der Galerie en passant (heute ep.contemporary). 2007 und 2008 studierte sie an der Ostkreuzschule für Fotografie bei Jonas Maron. Von 2010 bis 2015 war sie Jurymitglied der Stiftung Kunstfonds in Bonn. Ihre Arbeiten werden an zahlreichen Orten in Deutschland und weltweit ausgestellt. Mehr

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